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Dunkle Geheimnisse des Alltags

Kultur Regional

Musikkabarettistin Tina Häussermann mit einem Abend für alle Sinne im Herrenhof

Von Annegret Ries

Die Kabarettistin, Comedienne und Musikerin Tina Häussermann scheint ein dauergutgelauntes Energiebündel zu sein. Ein bisschen Boshaftigkeit geht aber doch bei ihrem Auftritt im Mußbacher Herrenhof: Sie entlarvt, was Hotelgäste Unanständiges mit Wasserkochern treiben.

Eine Tasche mit der Zahl 25, die von einem Blätterkranz umrankt wird, steht am Samstagabend im Mußbacher Herrenhof auf der Bühne. Das ist einer der wenigen Hinweise darauf, dass das Programm „Happy Konfetti“ mit dem Tina Häussermann in der Reihe Kabarettissimo gastierte, das Programm zu ihrem 25. Bühnenjubiläum ist. Zwar gehören einige Rückblicke auf die vergangenen 25 Jahre dazu, aber das eineinhalbstündige Programm ist kein „Best of“. Dazu hat sie ganz offensichtlich zu viele Ideen.

Einer dieser Rückblicke ist die Erinnerung an Hotels, in denen sie übernachtete. So manches Hotel Garni, nämlich „gar nie wieder hin“ sei dabei gewesen. Bei diesem Rückblick zeigt Häussermann, dass sie trotz Dauerstrahlelächeln auch etwas boshaft sein kann. Etwa wenn sie von dem Nachtportier berichtet, der ihr erzählt, dass manche Hotelgäste ihre Unterhosen und Socken im Wasserkocher auf dem Zimmer auswaschen und dann mit einem spitzbübischen Grinsen den Besuchern prophezeit: „Ihr werdet nie wieder einen Wasserkocher im Hotel benutzen.“

Ratlosigkeit beim StaubsaugerkaufIn den Liedern und Geschichten in „Happy Konfetti“ geht es um das alltägliche Leben, betrachtet mit Humor, Ironie und mit dem Blick der Kabarettistin. Esoterik und spirituelle Modeerscheinungen gehören zu den Themen, denen sich Häussermann annimmt. Es ist zum Brüllen komisch, wenn sie in einem Lied erzählt, wie sie in einem Volkshochschulkurs bei einer Achtsamkeitstrainerin Gelassenheit geübt hat, das „Ooom“ als Ausdruck der Achtsamkeit übt und gleich danach überzeugend einen herrlichen Wutanfall spielt. Und dank Häussermann erfährt man, dass das Baumumarmen beim Waldbaden die Ursache des Waldsterbens sei. Denn so ein Baum möchte nicht von jedem umarmt werden. Damit jeder sieht, wie das so ist, wird der Besucher Klaus zur Buche und von der Kabarettistin umarmt.

Ziemlich viele dürften im Alltag schon einmal die Situation erlebt haben, die Tina Häussermann in dem Lied „Ratlos im Media Markt“ beschreibt. Nachdem ihr Staubsauger nicht mehr saugt, versucht die Kabarettistin erst einen neuen Staubsauger im Internet zu kaufen, da sie aber angesichts der Fülle an Angeboten und technischen Details überfordert ist, geht sie in der Hoffnung auf Beratung in den Elektronikmarkt, dort geht es ihr aber nicht besser als im Internet.

Über die Deutsche Bahn schimpft und klagt fast jeder, doch Häussermann hat sich für ihre Klage etwas einfallen lassen. Was man mit der Bahn so erleben kann, beschreibt sie, indem sie bekannte deutsche Schlager umtextet und die Sänger dieser Schlager von Peter Maffay über Matthias Reim bis zu Nicole perfekt imitiert. Aus dem Song „Barbra Ann“ macht sie das Bahn-Lied „Bababa“, das sie das Publikum im dreistimmigen Chor singen lässt.

Tina Häussermann ist auch eine sehr gute Sängerin und Pianistin. Und sie kann gleichzeitig mit einer Hand Flöte, mit der anderen Hand Klavier spielen und dazu singen. Als das Publikum diese Leistung nicht würdigt, droht sie, „ich mache das so lange, bis ihr applaudiert“, was sofort den gewünschten Erfolg hat, wohl auch deshalb, weil die Flötentöne etwas schräg sind.

Mit dem Thema Hitzewallungen beschäftigt sie sich in einem tollen Rap, bei dem sie sogar auf den Klavierhocker steigt. Bei einem anderen Lied hüpft sie wie ein Derwisch ununterbrochen in die Höhe und sie steigt, wie die Rock’n’Roller früherer Zeiten, mit einem Bein aufs Klavier und mit dem anderen auf den Hocker davor.

Herrlich auch die Texte, in denen sie von den Erlebnissen mit ihren beiden pubertierenden Töchtern berichtet. Sogar das eher ernste Thema Inschriften auf Grabsteinen kann Häussermann humorvoll gestalten, indem sie originelle Grabinschriften, wie „Guck’ nicht so doof, ich läge jetzt auch lieber am Strand“ vorschlägt. Beim Beifall hätte manchen Besuchern etwas vom Temperament von Tina Häussermann gut getan. Die sprühte von Anfang bis Ende so vor guter Laune, dass sich dem letztlich niemand entziehen konnte.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 260
DatumMontag, den 10. November 2025
Seite17

Souverän und elegant

Kultur Regional

Mathias Tretter liefert bei Kabarettissimo scharfsinnige Satire ab

Von Birgit Karg

Scharfzüngig und sanft, angesichts der Zumutungen der Zeit: Mathias Tretter hat im Herrenhof wieder einmal ausgeteilt, ohne zu verletzen und getroffen, ohne zu brüllen.

In der Reihe „Kabarettissimo“ im Herrenhof Mußbach betrat Mathias Tretter die Bühne mit seinem neuen Programm „Souverän“. Und spätestens nach wenigen Minuten war klar: hier steht einer, der die politischen, kulturellen und technologischen Verwerfungen unserer Gegenwart nicht bloß beobachtet, sondern seziert – mit Witz, Stil und einem federleichten Zynismus. Tretter, Jahrgang 1972, gebürtig aus Würzburg, studierter Germanist, heute in Leipzig zuhause, bleibt einer der klügsten und gleichzeitig menschlichsten Stimmen im deutschen Kabarett.

Seine Bühnenfigur „Freund Ansgar“ ist wie ein alter Bekannter, den man nie so ganz leiden kann, aber unbedingt braucht: Philosoph, erfolgloser Galerist. Professionelles Weichei. Einer, der alles infrage stellt, am liebsten sich selbst. Und in diesem Programm bekommt Ansgar große Momente, anfangs mit der Tretter-Parodie einer intellektuell hochgezwirbelten Vernissagen-Laudatio, später als Versuchs-Astronaut: Im Weltraum schwebend, monologisierend in interstellarer Einsamkeit. Da entlarvt er den Weltraumtourismus als das was er ist: ein luxuriöser Seelenstriptease der Superreichen, ein Egotrip der Schwerelosigkeit. Und während er über die Erde blickt, zeichnet er ein Panorama, das glasklarer kaum sein könnte: Europa als die „neue Vierte Welt“, ein Kontinent zwischen Erschöpfung und Überheblichkeit. Und die globale Mülltrennung hat für ihn ohnehin nur noch zwei Kategorien: „Plastik ins Meer, Metall ins All“. Es ist einer der Momente, in denen die Luft im Saal stehen bleibt, bevor das Lachen – ein kluges, wundenheilendes – zurückbleibt.

Spielend wechselt der Kabarettist zwischen Figuren, Haltungen und intellektuellem Scharfsinn. Er spießt die Monopolmacht der Popkultur auf. Taylor Swift sei weniger Musikerin als „eine planetare Verwaltungseinheit“, und das Internet „ein einziger Algorithmus, der uns sagt, was wir mögen sollen, bevor wir wissen, dass wir es mögen.“

Und dann die liebevolle, aber gnadenlose Selbstanalyse seiner Boomer-Generation. Die 60er bis 80er Jahre, so erinnert er, waren nicht nur Milchreis und Prilblumen, sondern „frühkapitalistische Frotteeunterhosen – Neurodermitis zum anziehen“, der Ottoversand war das analoge Amazon und Temu, „unsere Nabelschnur zur Textilindustrie“. Doch Tretter will nicht nur zurückschauen, er diagnostiziert die Gegenwart als Zeitalter der digitalen Imperatoren: Musk, Zuckerberg, Bezos & Co als Augustus, Cäsar und Caligula im Hoodie. Trump als neuer Nero in „Agent Orange“ in einer Zeit, in der Einzelne mehr Macht haben als ganze Staaten liefern wir unseren täglichen Tribut: unsere Aufmerksamkeit.

Hier greift Mathias Tretters herrlich grotesker Vorschlag: Ein Start Up für KD – Künstliche Demenz. Endlich wieder vergessen dürfen in Zeiten von KI, Überwachung und endloser Informationsflut. Keine Notifications mehr im Kopf: „Vergessen ist die neue Freiheit“, wäre der Slogan. Denn, so Tretter, „in der Silver Economy ist das Alter der letzte Wachstumsmarkt, der uns geblieben ist“. Der Satz sitzt, er bleibt im Kopf, auch wenn man ihn gerne wieder losließe.

Zwischendurch schlägt sein Herz hörbar ostdeutsch. Als Wahlleipziger beobachtet er den Osten mit mehr Liebe als Ironie, und zeigt, dass die Bruchlinien unserer Gesellschaft nicht laut sind – sondern leise, im Alltagsgespräch, in der Art, wie wir aufeinander schauen. 

Und am Ende führt er uns – ganz unspektakulär, ganz groß – dorthin zurück, wo Demokratie ursprünglich gelebt wurde: an den Stammtisch. Nicht die hasserfüllte Kommentarspalte, nicht die Talkshow, sondern die Tischrunde in der Kneipe, die alte analoge bierfeuchte Basisdemokratie. Dort wo Unterschiedlichkeit ausgehalten wurde. Bevor wir uns in digitale Echokammern verzogen. Ein Plädoyer für das Gespräch, für das Nebeneinander, für das Zuhören – und ein melancholisches Erinnern an eine vordigitale Souveränität.

Fazit: Ein Abend, der klug macht, ohne zu belehren. Der das Hirn wärmt und den Humor dort kitzelt, wo es wehtut. Mathias Tretter zeigte sich als Meister des feinsinnigen Kabaretts: souverän im Denken, elegant im Sprachbild, menschlich im Kern. So wünscht man sich politische Satire – und so selten bekommt man sie.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 249
DatumMontag, den 27. Oktober 2025
Seite17