Von Birgit Karg
In der Reihe „Kabarettissimo“ im Herrenhof Mußbach betrat Mathias Tretter die Bühne mit seinem neuen Programm „Souverän“. Und spätestens nach wenigen Minuten war klar: hier steht einer, der die politischen, kulturellen und technologischen Verwerfungen unserer Gegenwart nicht bloß beobachtet, sondern seziert – mit Witz, Stil und einem federleichten Zynismus. Tretter, Jahrgang 1972, gebürtig aus Würzburg, studierter Germanist, heute in Leipzig zuhause, bleibt einer der klügsten und gleichzeitig menschlichsten Stimmen im deutschen Kabarett.
Seine Bühnenfigur „Freund Ansgar“ ist wie ein alter Bekannter, den man nie so ganz leiden kann, aber unbedingt braucht: Philosoph, erfolgloser Galerist. Professionelles Weichei. Einer, der alles infrage stellt, am liebsten sich selbst. Und in diesem Programm bekommt Ansgar große Momente, anfangs mit der Tretter-Parodie einer intellektuell hochgezwirbelten Vernissagen-Laudatio, später als Versuchs-Astronaut: Im Weltraum schwebend, monologisierend in interstellarer Einsamkeit. Da entlarvt er den Weltraumtourismus als das was er ist: ein luxuriöser Seelenstriptease der Superreichen, ein Egotrip der Schwerelosigkeit. Und während er über die Erde blickt, zeichnet er ein Panorama, das glasklarer kaum sein könnte: Europa als die „neue Vierte Welt“, ein Kontinent zwischen Erschöpfung und Überheblichkeit. Und die globale Mülltrennung hat für ihn ohnehin nur noch zwei Kategorien: „Plastik ins Meer, Metall ins All“. Es ist einer der Momente, in denen die Luft im Saal stehen bleibt, bevor das Lachen – ein kluges, wundenheilendes – zurückbleibt.
Spielend wechselt der Kabarettist zwischen Figuren, Haltungen und intellektuellem Scharfsinn. Er spießt die Monopolmacht der Popkultur auf. Taylor Swift sei weniger Musikerin als „eine planetare Verwaltungseinheit“, und das Internet „ein einziger Algorithmus, der uns sagt, was wir mögen sollen, bevor wir wissen, dass wir es mögen.“
Und dann die liebevolle, aber gnadenlose Selbstanalyse seiner Boomer-Generation. Die 60er bis 80er Jahre, so erinnert er, waren nicht nur Milchreis und Prilblumen, sondern „frühkapitalistische Frotteeunterhosen – Neurodermitis zum anziehen“, der Ottoversand war das analoge Amazon und Temu, „unsere Nabelschnur zur Textilindustrie“. Doch Tretter will nicht nur zurückschauen, er diagnostiziert die Gegenwart als Zeitalter der digitalen Imperatoren: Musk, Zuckerberg, Bezos & Co als Augustus, Cäsar und Caligula im Hoodie. Trump als neuer Nero in „Agent Orange“ in einer Zeit, in der Einzelne mehr Macht haben als ganze Staaten liefern wir unseren täglichen Tribut: unsere Aufmerksamkeit.
Hier greift Mathias Tretters herrlich grotesker Vorschlag: Ein Start Up für KD – Künstliche Demenz. Endlich wieder vergessen dürfen in Zeiten von KI, Überwachung und endloser Informationsflut. Keine Notifications mehr im Kopf: „Vergessen ist die neue Freiheit“, wäre der Slogan. Denn, so Tretter, „in der Silver Economy ist das Alter der letzte Wachstumsmarkt, der uns geblieben ist“. Der Satz sitzt, er bleibt im Kopf, auch wenn man ihn gerne wieder losließe.
Zwischendurch schlägt sein Herz hörbar ostdeutsch. Als Wahlleipziger beobachtet er den Osten mit mehr Liebe als Ironie, und zeigt, dass die Bruchlinien unserer Gesellschaft nicht laut sind – sondern leise, im Alltagsgespräch, in der Art, wie wir aufeinander schauen.
Und am Ende führt er uns – ganz unspektakulär, ganz groß – dorthin zurück, wo Demokratie ursprünglich gelebt wurde: an den Stammtisch. Nicht die hasserfüllte Kommentarspalte, nicht die Talkshow, sondern die Tischrunde in der Kneipe, die alte analoge bierfeuchte Basisdemokratie. Dort wo Unterschiedlichkeit ausgehalten wurde. Bevor wir uns in digitale Echokammern verzogen. Ein Plädoyer für das Gespräch, für das Nebeneinander, für das Zuhören – und ein melancholisches Erinnern an eine vordigitale Souveränität.
Fazit: Ein Abend, der klug macht, ohne zu belehren. Der das Hirn wärmt und den Humor dort kitzelt, wo es wehtut. Mathias Tretter zeigte sich als Meister des feinsinnigen Kabaretts: souverän im Denken, elegant im Sprachbild, menschlich im Kern. So wünscht man sich politische Satire – und so selten bekommt man sie.
Quelle
| Ausgabe | Die Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 249 |
| Datum | Montag, den 27. Oktober 2025 |
| Seite | 17 |