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Schöne neue Welt

Rheinpfalz, Kultur Regional

Sanfte Melodien und sarkastischer Wortwitz: „Simon und Jan“ stellen im Mußbacher Herrenhof ihr Programm „Ach Mensch!“ vor

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Neustadt-Mussbach: „Bezaubernd, böse und besonders!“ – so urteilte die Jury des Bayerischen Kabarettpreises, als sie „Simon und Jan“ vor wenigen Wochen als Sieger in der Kategorie „Musik“ bekannt gab. Es war bereits der zehnte hochkarätige Preis, den das 2006 von den Oldenburger Musik-Lehramtsstudenten Simon Eickhoff und Jan Traphan gegründete Duo einheimste. Dementsprechend eilte den Musik-Kabarettisten wohl ihr Ruf voraus, als sich am Samstag der Festsaal des Herrenhofes vor ihrem Auftritt bis auf den letzten Platz füllte.

Von Anfang an entwickelte sich dabei eine interessante Begegnung zwischen den betont rational auftretenden Mittdreißigern aus Norddeutschland, die auch auf der Bühne zum Bier griffen, und dem im Durchschnitt deutlich älteren und selig seinen Wein trinkenden Pfälzer Publikum.Begleitet wurde das Duo von seinem Freund Philipp Kasburg, der zu Beginn quasi als Support Act in seinen Liedern mit sonnigem Gemüt eher harmlose Themen wie „Kirschkuchen für die Angebetete“ und das „Lebensferne Dasein von Studenten“ aufgriff. Dann aber legten Simon und Jan mit „Karnikelkotzen“ sofort mit tiefen Einblicken in die Untiefen des (digitalen) Daseins los, wobei die Rollenverteilung mit Jan als Entertainer und Simon als exzellentem Gitarrenspieler und Sänger gut aufging. „Was ist das für ’ne schöne neue Welt hier? Ich drück den ganzen Tag nur noch „gefällt mir“! Ich hab neulich bei Youtube Karnickel kotzen sehn. Das war schön!“, schwärmt Jan da und kritisiert anschließend in „Geld“ einige Schauspieler aus der ersten deutschen Riege, die sich für eine McDonalds-Werbekampagne engagieren ließen: „Bleibtreu spielt Boulette, Brot und Käse, als ob es seine letzte Rolle wär. So rein schauspielerisch ist das alles Käse, so’n Cheeseburger, der gibt halt nicht mehr her.“Solcherart Direktheit ist allerdings eher die Ausnahme an diesem Abend, denn in ihren musikalisch anspruchsvollen und unterhaltsamen Stücken hinterfragen „Simon und Jan“ mehr, als dass sie verurteilten. Beide singen mit angenehmen Stimmen, wobei Simon wohl der stimmkräftigere von zwei guten Sängern ist. Jan hingegen vermittelt dem Publikum mit viel Charme und Klugheit kritische Sichtweisen auf die Gegenwart, dabei gelingt es ihm schelmisch trotz einiger Sticheleien, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen.

Schnell wird dabei klar: Hier sprechen zwar liebenswerte, aber dennoch sehr zeitkritische Geister. In ihrem religionskritischen Stück „Ach Mensch“, das der aktuellen Tour seinen Namen gab, konstatiert Jan recht authentisch: „Man hat mir bei der Taufe den Teufel ausgetrieben. Doch wohin ich laufe, meine Zweifel sind geblieben!“ Das Markenzeichen der beiden Künstler – Gitarrenspiel voller Hingabe, gefühlsbetonte Melodien, gemischt mit sarkastischem Wortwitz und immer überraschenden Wendungen – kam auch beim Pfälzer Publikum gut an, das auch den Dritten im Bunde, Philipp Kasburg, ins Herz schloss. So erlagen die Gäste nach anfänglichem kurzem Fremdeln vollständig dem sanften und trockenem Charme der Künstler, wurden vom Sarkasmus der eher höflichen Sorte verführt. Allerdings: Die „Schneise der Verwüstung durch hemmungslosen Rock und Roll“, die die „Simon und Jan“ angekündigt hatten, fiel dann doch eher subtil aus: Denn zum Schluss sang ein ganzer Saal voll gestandener Pfälzerinnen und Pfälzer andächtig und inbrünstig „Jippy Ohey, Krawall und Remmidemmi, Jippy Ohey“, womit bewiesen schien, dass das hiesige Publikum zu jedem „Schabernack“, wie man in Norddeutschland sagt, zu haben ist.

Von Oliver Steinke

Simon & Jan
12.03.2016

Böser Struwwelpeter macht gute Stimmung

Rheinpfalz, Kultur Regional

Kabarettistin Sarah Hakenberg widmet sich in der Reihe Kabarettissimo dem bekanntesten deutschen Kinderbuch

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Neustadt-Mussbach. Wie überträgt man das wohl bekannteste deutschsprachige Kinderbuch, den aus den 19. Jahrhundert stammenden „Struwwelpeter“, ins Heute? Diese Frage inspirierte Sarah Hakenberg zu ihrem aktuellen Kabarettprogramm „Struwwelpeter reloaded“. Wahrscheinlich war es neben der zunehmenden Medienpräsenz der Kabarettistin vor allem dieses Thema, das am Samstag weit über 200 Gäste in die ausverkaufte Festhalle des Mußbacher Herrenhofes strömen ließ.

Zur Überraschung vieler tritt die Kabarettistin, die nach Stationen in München und Berlin heute in Ostwestfalen lebt, in Mußbach deutlich sichtbar schwanger auf. Darüber, dass ihr Kind alles mithöre, mache sie sich keine Sorgen, sagt sie: „Es kommt zur Welt und weiß schon alles!“ Sorgen scheinen wirklich fehl am Platze, die Künstlerin ist trotz ihres hin und wieder recht sarkastischen Humors entspannt, ihr Klavierspiel auf dem wundervoll gestimmten Flügel, mit dem sie die eigenen Lieder begleitet, ist gekonnt und angenehm.Von Beginn an tritt sie in einen lebendigen Dialog mit dem Publikum und lässt literarisches Kabarett folgen, indem sie anhand des „Struwwelpeters“ eine Art Crashkurs durch die Kulturgeschichte gibt. Das Buch, das von „unartigen“ Kindern handelt, die nicht auf Erwachsene hören und denen deshalb meist ziemlich Übles widerfährt, wurde bekanntlich 1844 von dem Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann geschaffen, der zum Weihnachtsfest kein geeignetes Kinderbuch für seinen Sohn fand und deshalb selber zu Tintenfüller und Zeichenstift griff. Über das Ergebnis wird bis heute kontrovers diskutiert: Womöglich wollte der humanistisch orientierte Hoffmann sich eher über die Erziehungsmethoden seiner Zeit lustig machen und den Kindern durch Lachen die Angst nehmen, anstatt ihnen mit den überzogenen Geschichten eine starre Moral zu vermitteln.Wie auch immer, Hoffmanns Entschluss zeigte große Wirkung: Mittlerweile gibt es über 1000 verschiedene Ausgaben und Übersetzungen des Buches. Wobei gerade die Widersprüche zu unterschiedlichsten Interpretationen verleiteten, wie etwa den kriegsbegeisterten „Militärstruwwelpeter“ der Kaiserzeit oder den englischen „Struwwelhitler“, der 1941 die deutschen Faschisten verspottete. Beinahe zwangsläufig wurden im Zuge des sich verändernden Zeitgeistes 1970 ein „Anti-Struwwelpeter“ und 1980 gar ein „Schwuchtelpeter“ veröffentlicht.

Hakenberg steuert nun für unsere Gegenwart eigene, lustige und scharfzüngige Interpretationen bei. Der zunächst noch dicke „Suppenkasper“ wird bei ihr zum „drallen Kalle“, der wegen zu vielen „Happy Meals“ bei McDonald’s in der Röhrenrutsche steckenbleibt. Der „Zappelphilipp“ leidet an Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und wird im Lied „Ein Hoch auf legale Drogen“ mit jeder Menge Psychopharmaka ruhig gestellt. „Hans guck in die Luft“ wiederum läuft in der modernen Version als „Mandy guckt aufs Handy“ vor ein Auto. Der tierquälerische „böse Friederich“ schließlich geht in Anlehnung an Georg Kreisler „Hündchen lynchen in München“.

Doch nimmt sich Sarah Hakenberg nicht ausschließlich die Geschichten im „Struwwelpeter“ vor. Durchaus mit selbstironischem Einschlag singt sie auch ein etwas gehässiges Lied auf die neue Freundin eines „Ex“, die er nach kurzer Zeit schwängerte. Und in der Zugabe hinterfragt sie, ob ihre derzeit harmonische Beziehung mit ihrem Mann gut für ihre Kreativität sei, da sie für das Schöpferische eigentlich Krisen brauche: „Hack mir ein Bein ab oder schrei mich wenigstens an, mach sexistische Witze, finde Seehofer spitze, bete Bayern München an!“ Soweit lässt sie es dann zum Glück nicht kommen – noch vor dem Stichtag für ihr Kind steht sie mit einem neuen Soloprogramm „Nur Mut!“ auf der Bühne. Am Ende ein gelungener Abend, in dem die Kabarettistin in ihren Liedern grundsätzliche Fragen aufgreift und so witzig und scharfsinnig humane Botschaften mit Langzeitwirkung versteckt.

Von Oliver Steinke