Von Claus Jürgen Holler
Neustadt-Mussbach. „Lahme werden sehen können“, versprachen Dirk Pursche und Stefan Klucke vor ihrem zweistündigen Programm „Notaufnahme“ am Samstagabend im gut besuchten Herrenhof-Festsaal. Da deutete sich schon an, was sich im weiteren Verlauf des Abends bestätigte: Auch bei seinem fünften Gastspiel in der Pfalz überzeugte das Duo „Schwarze Grütze“ aus Potsdam mit einer gelungenen Mischung aus Wortwitz, Selbstironie, Klamauk und Musik.
Nun sitzt man im Kabarett ja in der Tat wie in der Notaufnahme mit Menschen zusammen, mit denen man unter normalen Umständen nicht zusammensäße, doch zwei Stunden warten, bis es losgeht, musste man nicht. Doktor Stefan und Pfleger Dirk stiegen unmittelbar ein in die Behandlung. Sie seien angetreten, das Image von (Wald-)Brandenburg aufzupolieren, hätten eigens dafür eine neue Hymne komponiert, die dem unbekannten Ministerpräsidenten – Dietmar Woidke von der SPD – freilich nicht so gefallen habe, sagen Klucke und Pursche. Warum das Lied vom nach Berlin ausgewanderten Schwaben, der beim Ausflug aufs Land am Wochenende nichts zu essen bekommt, nicht das Plazet des Landesvaters bekommen hat, erklärt die „Brandenburger Herzlichkeit“, die „Schwarze Grütze“ so trefflich mit der Faust auf der Zunge besingen – erleidet unser Schwabe doch eine Schussverletzung, nachdem er aus lauter Verzweiflung einen Baum im Wald angebrüllt hat: Die Verwechslung des Jägers erklärt sich mit den „Reebok“-Schuhen, und die Schwere der Verletzung wird vom eigens aus dem Wochenende geholten Notarzt als Schramme eingeschätzt: „Damit wäre Opa aus Stalingrad heimgelaufen.“Überhaupt habe sich viel getan in Brandenburg seit dem letzten Spatenstich in Eisenhüttenstadt: „Gemotzt und gepöbelt wird nur noch auf dem Land“, meinen Klucke und Pursche – dessen Anteil ist im entvölkerten Osten allerdings ziemlich groß. Doch blicken wir mal nach Berlin: „Was ist los in einem Land, das von einem Kabinett regiert wird, nach dem ein halbes Jahr gesucht wurde und das trotzdem beste Zahlen schreibt?“, fragen sich die beiden Kabarettisten und vergleichen die Situation mit einem in schwere Turbulenzen geratenen Flugzeug, dessen Passagiere „Der Kapitän muss weg“ fordern. Alte Mütter bekommen ihr Kind mit dem allerletzten Ei, tragen unter ihren schicken Röcken selbst schon wieder Windeln, und „bei der Geburt kann man die Hüfte gleich mitmachen“, konstatieren sie zur Lage der Nation und erklären so gleich mit, warum sie statt Lehrer lieber Kabarettisten geworden sind: Wegen der Eltern, die ob der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ihrer Kinder Loblieder auf Ritalin singen und Schlagzeug und Trampolin entnervt auf den Sperrmüll werfen.
Von sozialen Medien, die ihre Follower zu den spektakulärsten Verkehrsunfällen schicken, über nationalistische Dialyse-Patienten, die im OP auf eine deutsche Spenderniere bestehen, bis hin zu den Schwierigkeiten, seinem Leben in der digitalen Welt ein Ende zu setzen, mäandern „Schwarze Grütze“ durch allerlei gesellschaftliche Untiefen, besingen die Vorteile eines Urlaubs auf Rügen gegenüber Mallorca und versetzen eine E-Mail aus China mit allerlei Fragmenten aus erfolgreichen Schlagern. Das Publikum im Herrenhof reagiert überwiegend erheitert, und auch bei Nummern, die nicht ganz so zünden, werden die Zuschauer zum Klatschen aufgefordert, „denn das bringt frische Luft auf die Bühne“
Mit Milch könne man die laktoseintolerante Oma zum Flatulieren bringen, und wenn die Augen anschwellen, war es Erlebnisgastronomie – Kochshows seien mittlerweile spannender als der „Tatort“, meinen Pursche und Klucke, um gleich darauf ein Burka-Verbot aus gesundheitlichen Gründen zu fordern, schließlich führe die Vollverschleierung zu Vitamin D-Mangel. Angesichts der vielen Facetten des Wahnsinns in der Welt, von denen das Duo in zwei Stunden beeindruckend viele streift, sei Lachen die einzige und auch gesündeste Lösung, und dazu hat „Schwarze Grütze“ sein Publikum auch ein ums andere Mal gebracht. 2020 soll ein neues Programm in der Leipziger Pfeffermühle Premiere feiern, wenn das „Kabarettissimo“-Team das Duo auch dann wieder bucht, kann man guten Gewissens zum Besuch raten.
Von Doris Aust
Neustadt-Mussbach. Das Joscho Stephan Trio gehört deutschlandweit zu den besten Gypsy-Swing-Interpreten und genießt international ein hohes Renommee. Am Samstag begeisterten sie mit einem furiosen Konzert die Zuhörer im gotischen Chor der protestantischen Johanneskirche Mußbach.
Durch die Initiative der Fördergemeinschaft Herrenhof Mußbach hat dieser kulturhistorisch wertvolle Aufführungsort mit der im April begründeten Reihe „Jazz im gotischen Chor“ eine neue Nutzung als kultureller Treffpunkt für ausgesuchte Konzerte erfahren. Die Reihe soll auch 2019 fortgesetzt werden, daher will die Fördergemeinschaft für eine verbesserte Akustik sorgen. Beim Auftritt des Joscho Stephan Trios kamen nur die Zuhörer der ersten vier Reihen in den Genuss einer ausgewogen klingenden musikalischen Darbietung.Es war ein Fest für die Ohren, Joscho Stephan beherrscht auf unnachahmliche Weise dieses Genre des Jazz. Gypsy Swing ist in den 1930er Jahren durch den in Belgien geborenen Gitarristen Django Reinhardt bekannt geworden, der mit dem Stilmittel der Akkordzerlegung (Arpeggio) improvisierte und so den ersten in Europa entstandenen Jazzstil entwickelte, der heute noch in Europa die meisten praktizierenden Musiker und die größte Zuhörerschaft hat.
Joscho Stephan gehört zu den herausragenden Gitarristen des swingorientierten Gypsy-Jazz. In Mußbach war er mit seiner Triobesetzung zu Gast. An der Rhythmusgitarre sorgte sein Vater Günter Stephan für die Struktur des melodischen Flusses, am Kontrabass setzte Volker Kamp auch mit seinen gezupften Soli besonders klangvolle Akzente.
Als Opener begann das Trio mit einer Eigenkomposition von Joscho Stephan „Créateur Immobilier“, die er mit einer launigen Moderation ankündigte. Sie verbreitete schon am Anfang die typischen flirrenden Töne des Gypsy Swings und ließ die Virtuosität des Gitarristen aufblitzen. Im folgenden „Minor Blues“ von Django Reinhardt flossen immer wieder Improvisationen bekannter Musiktitel wie zum Beispiel das James-Bond-Thema ein, Volker Kamp ließ hier sein erstes Bass-Solo einfließen. Mit „Joseph Joseph“ kam eine Klezmer-Variante ins Programm.
Eine wunderbare Klangfarbe entwickelten besonders die langsamen Titel wie die „Ballade pour Django“, eine Eigenkomposition von Josho Stephan. Die Töne tropften sanft und zart in den Raum, hüllten das Publikum ein in einen romantisch wirkenden Klangmantel, ließen den Atem ruhiger werden und verebbten in einem Strom perlender Akkorde. Ähnlich beglückend im Sound war die Eigenkomposition „Papillon“ oder die Interpretation des Django Reinhardt Titels „Sweet Chorus“, wo sich die Melodie ganz entspannt in immer neue Dimensionen wand und jeder einzelne Ton von Josho Stephan genussvoll zelebriert wurde.
Aus dem umfangreichen Repertoire des Trios boten auch Jazzstandards wie „Take the A-Train“ von Duke Ellington ein völlig neues Hörerlebnis, denn hier tauchte wieder einmal mit ein Bass-Solo auf.
Zu den Großen des Gypsy-Jazz gehört der französische Musiker Dorado Schmitt. Sein „Bossa Dorado“ entwickelte sich zum Jazzstandard, für den er mit dem Django Award ausgezeichnet wurde und der als typischer Latin Sound im Konzert nicht fehlen durfte. Nicht nur für diese Interpretation spendete das Publikum lautstark Beifall.
Für den authentischen Gypsy-Ton benutzt Joscho Stephan eine spezielle Gitarre. Es ist eine modifizierte „Maccaferri/Selmer“ mit dem Schalloch in D-Form. Der italienische Geigenbauer und Gitarrist war Erfinder der von Django Reinhardt bevorzugten Selmer-Gitarren. Das Publikum kam bei den Zugaben noch einmal in den Genuss des unverwechselbaren Klangs. Den Anfang machte der Titel „Minor Swing“ aus dem Film „Chocolat“, weiter ging es mit „Rondo alla Turca “ von Mozart, bei dem Joscho Stephan die Stahlsaiten seiner Gitarre in atemberaubender Geschwindigkeit fast zum Glühen brachte. Mit einem superweich gespielten „Seul Ce Soir“ von Django Reinhardt endete das begeistert gefeierte Konzert.