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Herrenhof-Bühne wird wieder bespielt

„Wir wollen wieder Kultur machen, auch und gerade unter den herrschenden Corona-Bedingungen.“

Uwe Kreitmann, Organisator der Reihe Kabarettissimo, will nicht länger die Pforten geschlossen halten. Den Künstlern wie den Zuschauern, die unter dem langen Lockdown gelitten haben, möchte er eine Bühne beziehungsweise gute Unterhaltung bieten. Der Startschuss fällt Ende August.

Von Regina Wilhelm

 
Neustadt-Mussbach. Uwe Kreitmann wirkt nicht ganz glücklich. Zunächst einmal sind zwei der vier geplanten Vorstellungen im Frühjahr ausgefallen. Nach Martin Frank im Januar und Thomas Reis im Februar war Schluss. Nun soll es wieder losgehen. Doch die Auflagen sind schon umfangreich. Und sie ändern sich ständig; die Planungssicherheit ist nicht gewährleistet, klagt er.

Besorgt hat Kreitmann bereits einen großen Desinfektionsspender, weitere kleinere wird er noch kaufen. Einschränkungen gibt es einmal für die Künstler: Jene, die singen, müssen sechs, jene die nur sprechen vier Meter Abstand zum Publikum halten. Die Besucher indes sind angehalten, beim Betreten und Verlassen des Festsaals einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Die Tische werden nicht mehr so eng besetzt. Das bedeutet, dass – nach derzeitigem Stand – lediglich 108, maximal 110 Besucher pro Veranstaltung kommen können. „Das sind etwas mehr als die Hälfte, die sonst hier Platz finden.“ Entsprechend sind die Einnahmen geringer. Doch zum Ausgleich die Eintrittspreise zu erhöhen, das kommt für Kreitmann nicht in Frage. „Einen Corona-Zuschlag lehne ich ab“, betont er. Das könne und wolle er den Kabarettissimo-Fans nicht zumuten. Zuschüsse von öffentlicher Seite und einige Spenden hätten die Finanzlöcher etwas gestopft. 

Die Auswahl an Speisen ist vorläufig gestrichen. „Wir werden an den Tischen verpackte Brezeln und Getränke anbieten“, sagt Kreitmann. Schlange stehen an der Theke für ein Glas Wein oder ein Mineralwasser? – „Nein, wie sollten wir das mit Abstand bewerkstelligen?“

Noch gravierender ist für Kreitmann, dass er lediglich 18 Karten auf dem freien Markt verkaufen kann. Ein Vorverkauf ist bei der geringen Anzahl unnötig. Die Interessenten müssen sich stattdessen per E-Mail oder über die Homepage melden und den Betrag überweisen. Die Karten werden zugeschickt. „Selbstverständlich legen wir eine Warteliste an für den Fall, dass jemand absagt oder möglicherweise neueste Bestimmungen mehr Zuschauer erlauben.“ 90 Plätze werden derzeit durch Abo-Inhaber belegt.

Dennoch freut sich Kreitmann auf die neue Saison. Los geht es am Samstag, 29. August, 20 Uhr. Dann wird Frederic Hormuth die Bühne des Festsaals stürmen. Der Künstler aus dem Rhein-Neckar-Raum war schon häufig in Mußbach zu Gast, „eigentlich immer mit seinem neuesten Programm“. Das aktuelle ist mit „Bullshit ist kein Dünger“ überschrieben. Gehen wird es um Trump, Gauland und Naidoo, kurz um alle, die in jüngster Zeit mit ihrem Geschwätz für Aufruhr in Print- und sonstigen Medien sorgten. „Hormuth ist sozialkritisch und rechnet mit den Wichtigtuern in unserer Gesellschaft ab“, formuliert der Kabarettissimo-Chef. Einige seiner Gedanken setzt er gesanglich um, wobei er sich selbst am Flügel begleitet.

Nur wenige Tage später, am Freitag, 11. September, 20.30 Uhr, wird Olaf Bossi erwartet. Der ursprüngliche Termin am 9. Mai wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Bossi gehört zu den Nachwuchstalenten, denen Kreitmann gern eine Plattform bieten möchte. Unter dem Motto „Endlich Minimalist – Aber wohin mit den Sachen?“ lässt sich Künstler über den heutigen Konsumrausch aus und die mehr oder weniger gelungenen Versuche, diesen in den Griff zu bekommen beziehungsweise Verzicht zu lernen und zu üben. Auch will er beweisen, dass Aufräumen durchaus Spaß machen kann. Auf Klavier und Gitarre begleitet Bossi einen Teil seiner Reflexionen und Erkenntnisse.

Kein Unbekannter in Mußbach ist Arnulf Rating, „ein Urgestein des Kabaretts“, wie ihn Kreitmann bezeichnet. Am Freitag, 9. Oktober, 20.30 Uhr, wird er seine allerneuesten Eindrücke vom „Zirkus Berlin“ zum Besten geben. Der Wortkabarettist widmet sich akribisch der Bundeshauptstadt, die nicht nur zum politischen, sondern auch zum Zentrum für Party, Clubs und Börse avanciert ist. Freuen dürfe sich das Publikum gewiss wieder auf Zeitungsschlagzeilen, die Rating „Schlag auf Schlag“ präsentiert.

„Er verbindet österreichischen Schmäh, Jammern und Nörgeln mit deutscher Gründlichkeit“, beschreibt Kreitmann schmunzelnd den Kabarettisten Stefan Waghubinger. Wenige Tage nach der Premiere von „Ich sag’s jetzt nur zu Ihnen“ wird der Österreicher mit deutschem Wohnsitz in Mußbach auftreten. Waghubinger pickt meist Alltagssituationen auf, die urkomische Wendungen nehmen. Da geht es mal um die lästige Steuererklärung oder um wenig schöne Begebenheiten auf dem Finanzamt. „Ein echter Künstler des Fabulierens und Formulierens, der stets überraschende Pointen zustande bringt“, findet Kreitmann.

Den Reigen beendet in diesem Jahr die Gruppe „Les Papillons“ am Samstag, 5. Dezember, 20 Uhr, mit „Supernova“. „Les Papillons“, das sind Giovanni Reber (Violine) und Michael Giertz (Flügel). Der Programmtitel beziehe sich auf „Sternstunden aus 20 Jahren Bühnenerfahrung“, ist der Pressemitteilung zu entnehmen. Bekannt sind die zwei Musiker für die Fähigkeit, ganz unterschiedliche Musikstile gekonnt miteinander zu verbinden, wie Kreitmann weiß. „Pop-Ohrwürmer gehen in klassische Werke über, Freude schöner Götterfunken wird plötzlich zu einem James-Bond-Hit.“ Bei ihren Auftritten sei das Publikum stets begeistert gewesen.

Hingewiesen sei bereits auf Detlev Schönauers Abschiedstour, „Highlights aus 40 Jahren Kabarett“, am Samstag, 30. Januar, 20 Uhr. „Der französelnde Bistrowirt Jacques“ habe häufig bei Kabarettissimo gastiert, sagt Kreitmann. Deshalb wolle er gern seinen Anhängern die Möglichkeit geben, sich von ihm zu verabschieden.

INFO

Einlass zu allen Kabarett-Veranstaltungen ist um 19 Uhr. Sie beginnen an Freitagen um 20.30 Uhr, an Samstagen um 20 Uhr. Karten können reserviert werden per E-Mail –info@kabarettissimo.de – oder auf der Homepage unter www.kabarettissimo.de/kontakt. Sämtliche Veranstaltungen im Mußbacher Herrenhof finden im Festsaal statt. Aus diesem Grund und auch um Kosten zu sparen, gibt es nur ein Gesamtprogrammheft, das an den üblichen Stellen ausliegt.

Einmal „Pogrompoly“ mit der AfD

RHEINPFALZ, KULTUR REGIONAL

Von Regina Wilhelm

Neustadt-Mussbach.

„Das Deutsche reich(t)!“ – unter diesem anspielungsreichen Motto legte Thomas Reis in der Reihe „Kabarettissimo“ am Samstag im Herrenhof seine Sicht der Dinge dar und bot den Zuschauern eine Menge Denkanstöße für den Nachhause-Weg. Dafür spendeten sie mächtig Applaus.

Mit einem Gruß an die „lieben Pfälzer“ eröffnet Reis freundlich den Abend. Doch der Schein trügt. Wie sein mit allen Wassern gewaschener Rundumschlag schnell zeigt, ist er grimmig gestimmt, denn ein Gespenst geht um in Europa – und es ist nicht nur das Corona-Virus. Ein zweites kommt als Populismus daher, besonders in Thüringen. Reis spricht von der „kürzesten Machtergreifung“ aller Zeiten durch die FDP, die „Freunde des Populismus“, und schüttelt den Kopf: „Wer lässt sich als Demokrat von Nazis wählen?“. Allerdings habe die FDP mit fünf Prozent ja einen klaren Regierungsauftrag …

Die AfD dagegen spiele gern „Pogrompoly“, versucht Reis die Denke dieser Partei zu entlarven: Für drei Baracken gibt es ein Krematorium. Noch öfter wird den Zuschauern der Atem stocken. Der „Liberazi“ Gauland leugne nicht den Holocaust, bezeichne ihn jedoch als „Vogelschiss“. Ergo: „Deutschland ist die größte Guano-Insel“. In das Lied von den „zehn kleinen Populisten“, die sich zusehends reduzieren, fällt das Publikum gern ein. Den Originaltitel, erklärt Reis in einem Zwiegespräch mit einem imaginären Thüringer, dürfe man ja nicht mehr nennen. „Wie soll ich denn zu einem Bimbo sagen?“, fragt der zurück. Farbiger? Nein. Denn dank seiner Tätowierungen ist der Thüringer doch selbst ganz dunkel. 

Die Ausländerfeindlichkeit führt den Kabarettisten zu einer charakteristischen Eigenschaft des Deutschen: Platzangst: Im Zug wird auf den reservierten Sitz gepocht, selbst wenn das Abteil leer ist. Am Handtuchimperialismus ist der Deutsche im Urlaub erkennbar. „Wieso liegen eigentlich auf deutschen Friedhöfen keine Handtücher?“ Wieder eine Prise rabenschwarzer Humor. 

Frauen sind halt irrational –
warum sonst wählen sie Trump?Weiter geht’s zur EU und zum Brexit, „ein Witz“. Wozu habe er jetzt Englisch gelernt? Auch die neue Kommissionspräsidentin und ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kriegt ihr Fett weg. Als „Eurofighterin war Flugfähigkeit nicht ihre Kernkompetenz.“ Schusselig sei sie obendrein, habe sie doch aus Versehen ihre Handy-Daten gelöscht. Auch Katalanen und Flamen, die dem Separatismus huldigen, Österreicher, die einen wie Kurz zum zweiten Mal wählen, Polen, die auf die Pis-Partei stehen, und Amerikaner, die einen Donald Trump zum Präsidenten machen, kommen nicht ungeschoren davon. Herrlich münzt der Künstler Frank Zappas „Bobby Brown“ auf Trump um. Diesen „Grapschfinger“ hätten 56 Prozent der Frauen gewählt. Da stelle sich schon die Frage, ob das Frauenwahlrecht berechtigt sei. Gut, Frauen seien eben irrational. 

Über Putin und Erdogan eilt Reis dann wieder zur deutschen Politik. Für AKK sei es ungesund gewesen, dass die AfD ihr Verfallsdatum um 75 Jahre überschritten habe. Die „Putzfrau Gretel“ – so ihr Deckname – habe resigniert: „Sie kehrt nie wieder.“ Aber die CDU habe ja noch genügend Potenzial: Andi Scheuer – „war ein Scherz“. Laschet zu nett, Spahn zu adrett, Merz zu April, Röttgen zu schlau – und keine Frau. Reis selbst nennt noch Julia Klöckner, „die ist süß“, oder Anja Karliczek, „die hat immerhin einen messbaren IQ“. Als Kanzlerkandidat käme auch der Gotteskrieger Markus Söder in Frage. Nein, dann doch lieber Angela Merkel. „Die macht nichts, aber es hilft.“ 

Unzählige Gedanken purzeln so im Lauf des Abends im Schweinsgalopp aus des Künstlers „überquellendem Gehirn“. Von den „Fridays-for-Future“ springt er über Allergien und Intoleranzen zur Angst vor Krankheit, Alter und Tod, zu Feminismus und Sprachpurismus, um schließlich – nach einem Exkurs zu den verschiedenen Religionen – beim Thermomix zu landen. Kurz: Thomas Reis brilliert gleichermaßen mit feinstem Humor, bissigen Sprüchen und derben Schenkelklopfern. Ein toller Abend.

Thomas Reis
29.02.2020