News

Bleibende Veränderungen

Kultur Regional

Regina Wilhelm

Wer mag angesichts des De-facto-Kulturlockdowns derzeit schon an kommende Programme denken? Andererseits: Geplant werden muss. Sonst geht alles den Bach runter. Die Reihe „Kabarettissimo“ offeriert deshalb für 2022 unverdrossen ein Angebot, das die Rolle des Herrenhofs als Zentrum des intelligenten Humors bestätigen soll.

 
Neustadt-Mussbach. „Das Lachen in Zeiten von Corona hat seine eigenen Gesetze.“ Dieser Satz, der in der Ankündigung von Thomas Reis’ Auftritt im Februar in Mußbach steht, trifft den Nagel auf den Kopf. Die Reihe „Kabarettissimo“ im Herrenhof wird weiter existieren, Vertreter des Genres werden auch im nächsten Jahr – so das Virus und die Regierung es zulassen – für Unterhaltung sorgen. Doch die Bedingungen haben sich geändert und die Anzahl der Programmbeiträge, wie Uwe Kreitmann, Begründer und Hauptverantwortlicher der Reihe, im Gespräch darlegt. 

Bei Weber geht es um den „Homo digitalis“Ins neue Jahr startet „Kabarettissimo“ am 22. Januar mit Philipp Weber, keinem Unbekannten auf der Bühne des Festsaals im Kelterhaus. Bereits zum dritten Mal ist er als Solist vor Ort. „Doch die Zuschauer kennen ihn bestimmt auch noch als dritten Mann im ,Ersten Deutschen Zwangsensemble’ mit Claus von Wagner und Mathias Tretter“, sagt Uwe Kreitmann. Diese Mal hat Weber sein Programm „KI: Künstliche Idioten“ im Gepäck. Im Mittelpunkt steht der „Homo digitalis“, der nur noch auf sein Smartphone glotzt und sich an Alexa verkauft. Der Kabarettist hinterfragt die Sinnhaftigkeit der modernen Helferlein: Sie verschaffen dem Nutzer zwar einen Gewinn an Zeit, doch wie sinnvoll nutzt er diese dann? Trotz allen Fortschritts könne der moderne Mensch zudem noch immer nicht in einer Zeitmaschine reisen, das Bier downloaden oder saubere Fusionsenergie produzieren, beklagt Weber. Wie üblich, vermutet Kreitmann, werde der Künstler einen Redeschwall in seinem Amorbacher Odenwald-Dialekt über das Publikum ergießen. „Und er schaut dem Volk nicht nur aufs Maul, sondern spricht ihm auch aus der Seele.“ 

Genau vier Wochen später, nämlich am 19. Februar, wird der eingangs erwähnte Thomas Reis und damit ein „Kabarettist ähnlichen Formats“, so Kreitmann, die Herrenhof-Bühne stürmen. Ganz zeitgemäß kündigt er sich mit dem Titel „Mit Abstand das Beste“ an. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren war er zum letzten Mal hier, „und dann kam der Lockdown“, sagt Kreitmann. Die neuen Erfahrungen und Erkenntnisse zum Leben mit dem Corona-Virus hat Reis zu einem humoristischen Paket zusammengeschnürt. Die Zuhörer erwarten viele „aktuelle, vulnerable und infektiöse Texte“ und – der Doppeldeutigkeit des Titels entsprechend – auch etliche „komische Klassiker“ aus seinen bisherigen Programmen. Reis, der schon zahlreiche Auszeichnungen einheimste, „ist bereits zum sechsten oder siebten Mal im Herrenhof“. Besonders freut den „Kabarettissimo“-Chef, dass der gebürtige Freiburger „zu seinen früheren Bühnen hält“. Mittlerweile zähle Reis, der „selbst zahlreiche Schicksalsschläge hinnehmen musste“, zu den Großen in der deutschen Kabarettszene. Aber anders als manch andere habe er nicht vergessen, wo er begonnen hat. „Es ist einfach toll, dass er nach Neustadt kommt.“

Lieder, die vor Ironie und Schwarzhumor nur so triefenDas Intervall bleibt gleich. Exakt vier Wochen gehen ins Land, bis am 19. März der „Altrocker“ Michael Krebs mit „#Beyourselfie“ die Bühne entert. Der von etlichen Fernsehauftritten her bekannte studierte Jazzmusiker schreibe seine Lieder meist selbst, weiß Kreitmann. Die Texte seien oft bissig und trieften geradezu vor Ironie und schwarzem Humor. Er spiele mit den Wörtern und ihren Bedeutungen, entstelle häufig den Sinn. Gern erinnert sich Kreitmann an Krebs’sche Auftritte, bei denen er Tränen gelacht habe. „Mitunter blieb mir aber auch das Lachen im Halse stecken“, fügt er schmunzelnd hinzu. Krebs wird seine Songs auf „unserem Flügel“ begleiten. Dieses Vermächtnis sei Gustav Adolf Bähr, dem langjährigen Vorsitzenden der Fördergemeinschaft Herrenhof, zu verdanken. Kreitmann wertet das Instrument als ein Pfund, „mit dem wir wuchern können“ und das Musikkabarettisten wie Pianisten schätzten. 

Den Reigen im ersten Halbjahr beschließt René von Sydow am 21. Mai. Vor einigen Jahren habe er den Künstler auf der Kleinkunstbörse in Freiburg entdeckt und sei „ganz angetan gewesen“. Eigentlich komme Sydow aus der Theaterszene, sei dann aber „im Kleinkunstbereich durchgestartet“. Als politisch-gesellschaftskritisch beschreibt Kreitmann Sydows Stil. Im Programm „Heimsuchung“ geht es dieses Mal um „Leben und Tod“, das Altern in Würde, den Wert eines Menschenlebens und den Pflegenotstand, der „keinen Anlass zur Heiterkeit gibt“, wie es heißt. 

Der Sommer bleibt 
künftig kabarettissimo-freiUwe Kreitmann weist darauf hin, dass es für alle Veranstaltungen noch Karten gibt; auch einige Abonnements seien frei geworden. Künftig wird es allerdings bei „Kabarettissimo“ nur noch sieben, maximal acht Auftritte im Jahr geben. Juni, Juli, August bleiben kabarettfrei. Die hohen Temperaturen im Festsaal, die Veranstaltungen im Freien in der Umgebung mit entsprechendem Lärmpegel nennt Kreitmann als Gründe. Auch stellt man auf eine einzige Preiskategorie um: in der Regel 25 Euro plus Vorverkaufsgebühr. Nicht zuletzt um die ehrenamtlichen Helfer nicht zu stark zu strapazieren, wird das Speisenangebot reduziert, „allerdings wird es wieder etwas üppiger werden als jetzt während der Pandemie“, erklärt Kreitmann schmunzelnd. Die Weine will er nach wie vor von „aufstrebenden Jungwinzern“ beziehen. 


NOCH FRAGEN?

Karten (25 Euro plus Gebühr) zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20 Uhr im Festsaal des Herrenhofs beginnen, unter eintrittskarten@kabarettissimo.de. Geplant wird mit 2G plus. Weitere Infos und die aktuell geltenden Pandemie-Regeln immer unter www.kabarettissimo.de. 

Appell an die Spießer

Kultur Regional

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, und selbst ein Shitstorm kann ihr nichts anhaben. Simone Solga reagiert einfach mit „Ihr mich auch“. So heißt das Programm, mit dem sie am Samstag im Mußbacher Herrenhof zu Gast war. 

Von Regina Wilhelm

 
Neustadt-Mußbach. Aus dem Off wird Simone Solga als Helene Fischer des Kabaretts, als Eiserne Lady von Sachsen angekündigt. Unter fetziger Musik betritt sie die Bühne. „Hallo Mußbach, seid ihr bereit für Party?“. Die Reaktion ist verhalten. Solga weiß warum: Panik breite sich aus in diesem Land, das kurz vor weiteren Schließungen stehe. Und warum? Weil die Regierung versagt, unzählige Intensivbetten abgebaut und zu wenig gegen die Corona-Pandemie unternommen habe. Stellvertretend für die anderen knöpft sich Solga Gesundheitsminister Jens Spahn vor. Er habe viele, vor allem die Künstler, einfach hängen lassen. „Wir sind den Regierenden wurscht.“ 

In wenigen Worten stellt sich Simone Solga vor. Sie sei 1980 geboren, so plus, minus 15 Jahre, habe ein Abtropfgewicht, das sich in den zurückliegenden Monaten verdoppelt habe. Aber zum Glück sehe sie nicht mehr so gut. Was sie von den einzelnen Parteien und ihren Protagonisten hält, wird sie im Laufe des Abends darlegen. Und zwar direkt und ohne Schnörkel, denn „ich sage, was ich denke“. „Gurkenkönig“ Laschet, „Untergangsprophet“ Lauterbach oder „Nachlassverwalter“ Steinmeier kriegen ordentlich ihr Fett ab.

Kurz äußert sie sich zu ihrer ostdeutschen Heimat. Ihre Landsleute, bekennt Solga, brauchten viel Dresche, denn dort dräue das vierte Reich heraufzuziehen. „Ja, ein paar wenige Verwandte haben die AfD gewählt“, räumt sie ein. Gut, Schwager Thilo sei diese sogar zu gemäßigt. Als putzig empfand sie das Angebot einer Kirchengemeinde im Westen, die ihr Asyl angeboten habe: „Damit ich nicht zurück nach Dunkeldeutschland muss.“ 

Kleine Spitzen gegen Noch-Außenminister Heiko Maas – „das ist der mit einer Komplettversteifung des Körpers, zu großen Schuhen und zu kleinem Anzug“ – und schon springt die Kabarettistin zum nächsten Lieblingsthema: ARD und ZDF. Die Nachrichten sind in ihren Augen „Staatsbürgerkunde“, die dem Zuschauer diktieren, was er denken soll. Der „Kleber“ vom „heute Journal“ baue sich eine schöne Welt, gucke strafend und mahnend, dass sich ja keiner traue, Gesagtes zu hinterfragen. Kein Wunder also, dass manche Leute fänden, es gebe keine Meinungsfreiheit mehr. Das stimme so aber nicht, betont Solga, denn im Unterschied zur DDR wandere hier niemand, der eine andere Ansicht vertrete, ins Gefängnis. Sie schiebt nach: „Wir hätten auch nicht genügend Haftplätze.“ 

Die Kabarettistin beklagt den „Riss in der Gesellschaft“. Da ist ihre Freundin Grit, die beim WDR arbeitet. Die Vielfalt, die sie anmahne, bestehe aus Rot und Grün. Sicher, habe Grit gemeint, müsse die Mohrenstraße – „ein Relikt des Kolonialismus“ – in Möhrenstraße umbenannt werden. Um die Absurdität dieses Ansinnens zu untermauern, fragt Solga, ob es einem Flüchtling aus Afrika am Ende nicht wichtiger wäre, in der Mohrenstraße eine Wohnung und in der Mohren-Apotheke einen Job zu finden. 

Weitere Blüten: Die Staatsoper Berlin nehme den „Nussknacker“ aus dem Programm, er sei wegen der chinesischen und arabischen Tänze zu rassistisch. „Was ist eigentlich mit Grimms Märchen?“. Dornröschen werde von einem Prinzen wachgeküsst, einem „übergriffigen Drecksack“, bei Hänsel und Gretel verbrenne eine Hexe, und im Froschkönig klatsche die Prinzessin einen Frosch an die Wand. Und die klassischen Werke? „Da müssen einige weg.“ Der Zauberberg von Thomas Mann – „der Merz der Literatur“ – handle von Besserverdienenden in einem Edelsanatorium, Don Quichotte kämpfe gegen erneuerbare Energien. 

Simone Solga kritisiert die „Cancel Culture“, den Aufruf zu einer Toleranz, die häufig in Intoleranz münde, den Kampf gegen Rassismus, der mitunter so weit geht, fast sämtliche Verhaltensweisen von Migranten zu akzeptieren; nicht zuletzt die Verbote, mit denen die Grünen die Welt retten wollen. In einem furiosen Finale persifliert die Künstlerin als polnische Altenpflegerin Kascha die Zustände in deutschen Altenheimen. Und sie bilanziert: „Die Deutschen haben ein großes Herz für die ganze Welt, aber keins für sich selbst.“ 

In Anbetracht der Zustände – das „Land rockt runter“ – appelliert Solga an sämtliche die Mehrheit bildenden Spießer, die oft zu bequem zum Brüllen sind, aufzustehen, um sich nicht von einer Minderheit dominieren zu lassen. Sie setze keine Hoffnung mehr in die Politiker, aber „in die Zuschauer, die hier zwei Stunden sitzen und zuhören“. Und das waren immerhin rund 125.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 277
DatumMontag, den 29. November 2021
Seite17

Simone Solga
27.11.2021