Appell an die Spießer

Kultur Regional

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, und selbst ein Shitstorm kann ihr nichts anhaben. Simone Solga reagiert einfach mit „Ihr mich auch“. So heißt das Programm, mit dem sie am Samstag im Mußbacher Herrenhof zu Gast war. 

Von Regina Wilhelm

 
Neustadt-Mußbach. Aus dem Off wird Simone Solga als Helene Fischer des Kabaretts, als Eiserne Lady von Sachsen angekündigt. Unter fetziger Musik betritt sie die Bühne. „Hallo Mußbach, seid ihr bereit für Party?“. Die Reaktion ist verhalten. Solga weiß warum: Panik breite sich aus in diesem Land, das kurz vor weiteren Schließungen stehe. Und warum? Weil die Regierung versagt, unzählige Intensivbetten abgebaut und zu wenig gegen die Corona-Pandemie unternommen habe. Stellvertretend für die anderen knöpft sich Solga Gesundheitsminister Jens Spahn vor. Er habe viele, vor allem die Künstler, einfach hängen lassen. „Wir sind den Regierenden wurscht.“ 

In wenigen Worten stellt sich Simone Solga vor. Sie sei 1980 geboren, so plus, minus 15 Jahre, habe ein Abtropfgewicht, das sich in den zurückliegenden Monaten verdoppelt habe. Aber zum Glück sehe sie nicht mehr so gut. Was sie von den einzelnen Parteien und ihren Protagonisten hält, wird sie im Laufe des Abends darlegen. Und zwar direkt und ohne Schnörkel, denn „ich sage, was ich denke“. „Gurkenkönig“ Laschet, „Untergangsprophet“ Lauterbach oder „Nachlassverwalter“ Steinmeier kriegen ordentlich ihr Fett ab.

Kurz äußert sie sich zu ihrer ostdeutschen Heimat. Ihre Landsleute, bekennt Solga, brauchten viel Dresche, denn dort dräue das vierte Reich heraufzuziehen. „Ja, ein paar wenige Verwandte haben die AfD gewählt“, räumt sie ein. Gut, Schwager Thilo sei diese sogar zu gemäßigt. Als putzig empfand sie das Angebot einer Kirchengemeinde im Westen, die ihr Asyl angeboten habe: „Damit ich nicht zurück nach Dunkeldeutschland muss.“ 

Kleine Spitzen gegen Noch-Außenminister Heiko Maas – „das ist der mit einer Komplettversteifung des Körpers, zu großen Schuhen und zu kleinem Anzug“ – und schon springt die Kabarettistin zum nächsten Lieblingsthema: ARD und ZDF. Die Nachrichten sind in ihren Augen „Staatsbürgerkunde“, die dem Zuschauer diktieren, was er denken soll. Der „Kleber“ vom „heute Journal“ baue sich eine schöne Welt, gucke strafend und mahnend, dass sich ja keiner traue, Gesagtes zu hinterfragen. Kein Wunder also, dass manche Leute fänden, es gebe keine Meinungsfreiheit mehr. Das stimme so aber nicht, betont Solga, denn im Unterschied zur DDR wandere hier niemand, der eine andere Ansicht vertrete, ins Gefängnis. Sie schiebt nach: „Wir hätten auch nicht genügend Haftplätze.“ 

Die Kabarettistin beklagt den „Riss in der Gesellschaft“. Da ist ihre Freundin Grit, die beim WDR arbeitet. Die Vielfalt, die sie anmahne, bestehe aus Rot und Grün. Sicher, habe Grit gemeint, müsse die Mohrenstraße – „ein Relikt des Kolonialismus“ – in Möhrenstraße umbenannt werden. Um die Absurdität dieses Ansinnens zu untermauern, fragt Solga, ob es einem Flüchtling aus Afrika am Ende nicht wichtiger wäre, in der Mohrenstraße eine Wohnung und in der Mohren-Apotheke einen Job zu finden. 

Weitere Blüten: Die Staatsoper Berlin nehme den „Nussknacker“ aus dem Programm, er sei wegen der chinesischen und arabischen Tänze zu rassistisch. „Was ist eigentlich mit Grimms Märchen?“. Dornröschen werde von einem Prinzen wachgeküsst, einem „übergriffigen Drecksack“, bei Hänsel und Gretel verbrenne eine Hexe, und im Froschkönig klatsche die Prinzessin einen Frosch an die Wand. Und die klassischen Werke? „Da müssen einige weg.“ Der Zauberberg von Thomas Mann – „der Merz der Literatur“ – handle von Besserverdienenden in einem Edelsanatorium, Don Quichotte kämpfe gegen erneuerbare Energien. 

Simone Solga kritisiert die „Cancel Culture“, den Aufruf zu einer Toleranz, die häufig in Intoleranz münde, den Kampf gegen Rassismus, der mitunter so weit geht, fast sämtliche Verhaltensweisen von Migranten zu akzeptieren; nicht zuletzt die Verbote, mit denen die Grünen die Welt retten wollen. In einem furiosen Finale persifliert die Künstlerin als polnische Altenpflegerin Kascha die Zustände in deutschen Altenheimen. Und sie bilanziert: „Die Deutschen haben ein großes Herz für die ganze Welt, aber keins für sich selbst.“ 

In Anbetracht der Zustände – das „Land rockt runter“ – appelliert Solga an sämtliche die Mehrheit bildenden Spießer, die oft zu bequem zum Brüllen sind, aufzustehen, um sich nicht von einer Minderheit dominieren zu lassen. Sie setze keine Hoffnung mehr in die Politiker, aber „in die Zuschauer, die hier zwei Stunden sitzen und zuhören“. Und das waren immerhin rund 125.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 277
DatumMontag, den 29. November 2021
Seite17