Von Hans Kraus
Neustadt-Mussbach. Die Zeit, in der Ilja Richter der Sendung „Disco“ mit flotten Sprüchen wie „Licht aus! Whoom! Spot an! Jaaa …!“ und Sketcheinlagen an der Albernheitsgrenze seinen Stempel aufdrückte und sich damit ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation einbrannte, macht alles in allem nicht mal 20 Prozent seines Künstlerlebens aus. Davor, danach, daneben etablierte er sich als Schauspieler in Theater- und Musicalinszenierungen, als Synchronsprecher wie etwa als Stimme von Mike Glotzkowski aus der „Monster AG“ und mit Lesungen und abendfüllenden Programmen wie „Vergesst Winnetou“ oder „Fontanes kulinarische Reise“. In den Mußbacher Herrenhof kommt er am Samstag nun mit seinem ersten Liederabend mit dem Titel „Lieblingslieder“, der vor etwas über einem Jahr im Übergangsquartier Schillertheater der „Komödie am Kurfürstendamm“ Premiere feierte.
Es geht um Songs, die
sein Leben geprägt habenAber Vorsicht – es handelt sich dabei nicht um irgendwelche Lieblingslieder, sondern, darauf legt er im Gespräch sehr viel Wert, ausschließlich um seine eigenen. Viele davon stammen aus den ganz frühen Tagen der Unterhaltungshistorie. „Ich bin absolut kein Nostalgiker“, erklärt Richter auf Nachfrage, „aber natürlich stammen die Nummern, die ich vortrage aus der Vergangenheit und rufen Erinnerungen hervor. Es sind Stücke aus der eigenen Geschichte. Mit Lieblingsliedern meine ich nicht saisonbedingte Titel, die ich momentan gerade mag, sondern die, welche mich auf irgendeine Art und Weise über Jahre hinweg geprägt haben.“ Zu Gehör kommen dabei Stücke aus Klassik, Chanson, Jazz und Unterhaltungscabaret – mit „C“, nicht zu verwechseln mit dem mit „K“ geschriebenen politischem Kabarett, wie Richter betont. „Die Lieder treffen alle meinen persönlichen Geschmack, darum sind es in erster Linie meine Lieblingslieder“, philosophiert er. „Ich möchte sie, wenn auch anders gemacht, möglichst vielen Zeitgenossen zu Gehör bringen, denn es könnten eventuell auch ihre Lieblingslieder sein.“
Zitate auf Songs aus neuerer Zeit möchte er sich aber trotzdem nicht verkneifen. Dabei kommt dann doch wieder ein kleines Stückchen „Disco“ zum Vorschein. „Ich habe damals in meinem Sketchen gerne ein paar Giftpfeile in Richtung Schlager verschossen. Ich bin aber nicht der Typ, der sich, wenn ihm etwas nicht gefällt, darüber lustig macht. Wenn man mir jedoch eine Vorlage bietet, nehme ich sie gerne auf und verarbeite sie humoristisch“, erklärt er.
Auf seine „Disco“-Zeit blickt Richter eher skeptisch zurückZu seiner Zeit als Moderator hat er ein gespaltenes Verhältnis. Richter: „Wir leben im Hier und Jetzt. Viele Leute meiner Generation schwärmen von Vergangenem, nach dem Motto ,Schön war die Zeit’ oder ,Früher war alles besser’. Wer’s mag, kann das gerne so halten, ich persönlich werde das aber nicht bestätigen. Ich glaube, die meisten empfinden die früheren Zeiten so toll, weil sie damals jung waren. Ich verbinde Erinnerungen damit, sonst nichts.“
Ilja Richter hat sich schon früh über sich und das Leben Gedanken gemacht. „Ich wahre gerne gesunde Distanz zu Menschen, ohne mich zu distanzieren“, sagt er. „Ich liebe Komik. Da gehört Distanz ganz einfach dazu. Komik ist Dingen aus der Distanz Kommentare hinzufügen.“ Der von ihm gepriesene innere Abstand machte sich unter anderem auch in seinem Kleidungsstil in den „Disco“-Sendungen bemerkbar. Aber auch dafür hat der Mann, der schon als Kind mit Größen wie Viktor de Kowa oder Martin Held spielte, eine Erklärung parat: „Ein Gastgeber muss nicht so aussehen wie seine Gäste. Ich habe getan, was ich konnte, dazu brauche ich mich nicht verkleiden. Herausgekommen ist dabei der junge Mann, der sich so kleidete wie er sich am wohlsten fühlte und sich nicht von Trends leiten ließ.“
Ein sehr wichtiges Thema ist für ihn die Freundschaft. Hier sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus: „Freundschaft, Liebe und Zuneigung muss man sich erarbeiten. Das, was sich heute im Internet abspielt, hat mit gelebter Freundschaft nichts zu tun. Da freuen sich welche, dass sie nach ein paar Clicks hundert und mehr ,Freunde’ haben, ohne sie überhaupt persönlich zu kennen.“ Leider werde mit dem Begriff „Freund“ sehr inflationär umgegangen, bedauert Richter. Anders als zu „Disco“-Zeiten, als er die Zuschauer immer mit der Floskel „Hallo Freunde“ begrüßte und dafür ein „Hallo Ilja“ zurückbekam, sieze er Leute, denen er mal eben so begegne, heute ganz grundsätzlich – und so will er es auch am Samstag im Herrenhof halten. „Ich finde, ein liebevolles ,Sie’ drückt Respekt aus.“
TERMIN
Ilja Richter stellt sein Programm „Meine Lieblingslieder“ gemeinsam mit seinem Pianisten Harry Ermer am Samstag, 13. November, um 20 Uhr im Festsaal des Herrenhofs in Mußbach vor. Karten (35 Euro) über eintrittskarten@kabarettissimo.de. Es gelten die 3G-Regel sowie Masken- und Registrierpflicht.
Quelle
Ausgabe | Die Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 260 |
Datum | Dienstag, den 9. November 2021 |
Seite | 13 |
Kultur Regional
Von Hildegard Jannsen-Müller
In seiner Vorpremiere „Das Würde des Menschen“ spielte er mit Wörtern, Begriffen und Gedanken. Das Zuhören war eine Lust. Auch wenn es um ernste Themen ging.
Ingo Börchers reißt das Publikum mit in einen wahren Strudel an Gedanken, die beinahe so schnell wie sie auftauchen auch schon weiterziehen. Da ist schnelles Mitspringen von einem Thema zum nächsten angesagt. Fassen lassen sich die Wörter und Sätze, die da aus dem Kabarettisten heraussprudeln, auf die Schnelle kaum.
„Der Mann spricht schnell“, murmeln sich die Besucher zu, als sie selbst einmal zu Atem kommen. „Super“, lautet das Urteil schon in der Halbzeit. Aber hat die Veranstaltung da nicht gerade erst begonnen? Es scheint, als müsse Ingo Börchers nach der Corona-Zwangspause eine Flut von aufgestauten Gedanken loswerden.
Börchers ist ein Fan von Konjunktiven. „Wenn es den Konjunktiv nicht gäbe, man müsste ihn erfinden“, denn „gäbe es keinen Konjunktiv, verlöre die Welt an Würde.“ „Das Würde des Menschen“ nämlich ist „befreundet mit der Utopie“. Die wiederum ist wichtig für die Frage „Wie wollen wir leben?“ Da heißt es auch einmal „das Undenkbare zu denken“. „Ich war als Kind schon ein Klugscheißer“, bekennt Ingo Börchers und hüpft weiter von Thema zu Thema auf der Suche nach den richtigen Fragen: Warum beispielsweise gibt es so wenige Frauen in Führungsetagen, wo die doch um vieles preiswerter sind? Er umreißt „die digitale Evolution“ am Beispiel von Elternabenden als Videokonferenz und digitaler Diagnosen von Medizinern und Psychotherapeuten.
Bedenklich sei es, das Gewohnte zur Normalität zur erheben. „Ist es normal, dass ein Flug auf die Malediven weniger kostet als die Parkgebühren am Flughafen?“ Dass die Wünsche der Wirtschaft unantastbar sind? Dass Menschen nur noch als Konsumenten gebraucht werden? „Konsumismus“ ist für ihn „die neue Staatsform“, Essen ist zur Religion geworden.
„Widersetzen Sie sich den Normen“, fordert Börchers, „machen Sie was Verrücktes“. Statt ständig nach dem Ich zu suchen, könne man besser die Selbstakzeptanz pflegen. Was im ersten Moment nur nach Spaß klingt, hat immer einen ernsten Hintergrund und auch die Botschaft, Dinge von zwei Seiten zu betrachten. Was bedeutet uns Heimat? Was bedeutet Heimat für Flüchtlinge, und wie verändern sich Menschen, „die nichts mehr haben als sich selbst“?
Da wandelt sich „das Würde“ der Utopie zum Nachdenken über „die Würde“ des Menschen. Zumal in unserer Gesellschaft alles auf Wachstum programmiert sei. „Es fällt schwer, mit dem Wenigerwerden auszukommen“, auch und vor allem mit dem Wenigerwerden des Menschen im Alter, wenn alte Menschen durch Demenz wieder zu Kindern werden, wenn junge Menschen die Kraft verlässt, sie zu pflegen.
Auch da sind neue Sichtweisen, Utopien und der Konjunktiv vonnöten statt nur die Normalität zu sehen. „Wir können die Sicht auf unser Leben ändern“, betont Börchers, und: „Seien Sie im Zweifel für den Zweifel“. Das Publikum dankt ihm mit viel Applaus.
Quelle
Ausgabe | Die Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 242 |
Datum | Montag, den 18. Oktober 2021 |
Seite | 15 |