Thomas Reis bricht im Mußbacher Herrenhof manche Tabus – Freude an Wortwitz und an Jonglage mit Doppeldeutigkeiten
Er hebt an, zielt und trifft. Gnadenlos lässt Thomas Reis seine verbalen Splitterbomben auf Politik, Gesellschaft und Kirche niederprasseln, ohne Rücksicht auf direkte Verluste oder Kollateralschäden. Über zwei Stunden plus Zugabe erläutert der Kabarettist am Samstagabend im Mußbacher Herrenhof, wo der Schöpfer überall Mist gebaut hat und wo er, Reis, dringend Handlungsbedarf sieht.
Der dezente feinsinnige Humor ist Reis“ Sache nicht. Nein, blanker, oft scharfer Zynismus zeigt dem Publikum seine Fratze. Tabus? Sind nur da, um gebrochen zu werden – gnadenlos. Ja, Thomas Reis“ Grenzen liegen weit hinterm Horizont, und manchmal darüber, sodass manche Pointe mit einem großen Schluck Wein oder Wasser hinuntergespült werden muss, will der Zuhörer nicht an ihr ersticken.
Besonders angetan haben es dem Kölner Kabarettisten George „double u“ Bush und dessen „von Gott auserwähltes Volk“. Es ist die amerikanische Haltung, Weltpolizei spielen zu müssen und die Überheblichkeit, „the greatest people in the world“ (das herausragendste Volk auf der Erde), „die Erfahrung haben wir auch schon mal gemacht“, die ihn zu Hochformen auflaufen lässt. Ob der Umgang mit den Gefangenen auf Guantanamo und den Schwarzen im eigenen Land oder die vorgebliche Zivilisation – Reis legt die Finger in die amerikanischen Wunden. Böse Attacken (Bush leide an oraler Schließmuskelinsuffizienz) bleiben da nicht aus. Eingeschossen auf den amerikanischen Präsidenten, geraten auch die Trabanten ins Zielfeuer: Berlusconi, Aznar und Blair. „Nur der deutsche Schäferhund verweigert seinen Gehorsam.“
Aber klar, auch die deutschen Politiker kriegen ihr Fett ab – und nicht knapp. Quer über alle Parteien lässt er seine Sense sausen: Joschka, „die subtile Mischung aus Friede und Krieg – Freak“, Stoiber, „der Verschnitt aus Pitbull und Kampfhuhn – Pickbull“ oder Schily, der Gott nicht ins Land gelassen hätte, komme er doch aus dem Jenseits, also einem sicheren Drittland. Unverkennbar in dieser Passage die Freude des Kabarettisten am Wortwitz, an der Jonglage mit Doppeldeutigkeiten, am Spiel mit ungewöhnlichen Sinnverbindungen. Es ist eine Lust, seinen Konnotationen zu folgen: Schily – Beugungsform von Schill. Der wiederum stammt aus „der Jura“, der Jurisprudenz, dem Jurassic Park. Auch Angela Merkel, die frühere „Zonen-Barbie“, oder ihr „Hafersäckchen“ Roland Koch, kommen nicht ungeschoren davon, genauso wenig wie Bundeskanzler Gerhard Schröder, der „weder Sinn noch Verstand hat“.
Das lässt nur einen Schluss zu: Gott hat sich zurückgezogen aus dieser Welt. Als „Grzimek Drewermann“, in perfekter Parodie, hält Reis das Göttlein in der Hand, dem sein Werk aus der Hand geglitten ist. Aber dafür hat Helmut Kohl, der „große Schöpfer“, in das Weltgeschehen eingegriffen. Und gemäß dem Motto des Abends „So wahr ich Gott helfe“ schwingt Reis kräftig die Kelle mit.
Um die Welt zu verändern, müssen die Menschen anders werden. Fazit: Kinder gibt es nur noch aus der Retorte, ganz nach dem Wunsch der Eltern, die sich ein schönes, intelligentes, liebes Baby „auspressen“ lassen. Doch, wehe dem, der am falschen Ende spart, sein Kind bei „McKid“ in Auftrag gibt: Er muss damit rechnen, ein Monster zu erhalten, läuft er doch Gefahr, dass dort, in der Schnellproduktionsstätte, alles falsch verstanden wird.
Auf die bisherige Methode sollte niemand mehr vertrauen, empfiehlt Thomas Reis. Denn „Mann und Frau lassen sich nicht kreuzen. Es kommt einfach nichts Höheres dabei heraus“. Und schon ist er bei dem Lieblingsthema fast aller Kabarettisten angelangt, der Inkompatibilität der beiden Geschlechter. In Wirklichkeit nicht wirklich neu, sind die Varianten der Darbietungen doch immer wieder amüsant.
Nicht weniger beliebt und stets für einen Lacher gut ist das Fernsehen mit seinen Protagonisten: nervende Talkmaster, Gummibären fressende Moderatoren, Pseudo-Stars, die in irgendwelchen Sendungen Maden verschlingen oder der „Topfterrorist“ Alfred Biolek scheinen Reis“ Favoriten. Die omnipräsente Werbung, der Fitness- und Öko-Wahn oder der Glaube an die Allmacht der Technik sind weitere Themen, die er trefflich zu glossieren weiß.
Thomas Reis bietet seinem Publikum herbe Kost, die er außerdem so schnell serviert, dass kaum Zeit genug zum Schlucken ist. Heißt: Die Bedächtigen bleiben – gewünscht? – auf der Strecke, nur die Fitten überleben diese Evolution im Schnelldurchgang. (giw)