Von Pendlern auf Umwegen und dem Ich-AGler im Himmel

Rheinpfalz, Kultur Regional

Kabarettist Urban Priol lästert im Herrenhof über den alltäglichen Wahnsinn in Politik und Gesellschaft – Trost nur im China-Lokal

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„Ja, wir machen da was.“ Das Publikum hält es kaum noch auf den Stühlen bei diesem Satz, denn Gottvater reagiert angesichts des Chaos auf Erden wie unser Kanzler bei Firmenpleiten. Schon mehrfach im Laufe des Samstagabends hat der Kabarettist Urban Priol die typischen Verhaltensmuster von Gerhard Schröder aufgearbeitet. Und jedes Mal heftigen Applaus und laute Lacher geerntet.

Fast bis auf den letzten Platz ist der Mußbacher Herrenhof gefüllt. Die Besucher werden fürstlich belohnt, denn der Solokabarettist aus dem Raum Aschaffenburg entzündet ein wahres Feuerwerk an Pointen: frech bis zum Rande des guten Geschmacks, witzig bis zum Totlachen, urkomisch in seinem Imitationstalent, treffend in seiner Mimik und Gestik.

Bekleidet mit giftgrünem Hemd und Schuhen, die der „American Army“ zur Ehre gereichten, mit Haaren, die aussehen, als wäre ihrem Besitzer gerade Bin Laden erschienen, düst Priol auf die Bühne. Ein fesches „Grüß Gott – so sagt man in meiner Heimat“, ruft er dem Publikum entgegen. Der Bayer, genauer der Franke mit dem hessischen Akzent, stürzt sich sofort in medias res. Schwungvoll reißt er den Arm nach vorn: Der Geist von Neuhardenberg weht durch den Raum. Und die Beschlüsse, die vergangene Woche auf dem kleinen Schloss gefasst wurden, vor allem ihre möglichen Konsequenzen, lassen Priol zur Hochform auflaufen: In sein Schussfeld geraten der Pendler, der nun 40 Kilometer Umweg fährt, weil die Pauschale gekürzt wurde, die höhere Tabaksteuer, die statt des Mutterschutzes eigentlich das Sterbegeld finanzieren sollte, oder der Käufer des „3-Liter-Lupos“, der ein Sozialschädling ist, weil er die Rente nicht ordentlich mitfinanziert.

Auch Tabubrüche fürchtet Priol nicht. Mancher im Auditorium schluckt, als der Entertainer ganz cool von der sauberen Punktlandung des Jürgen W. Möllemann spricht und anfügt, dass dessen Kameraden zuvor voll des Mitleids jenen eingeladen hätten, „doch auf einen Sprung vorbeizukommen“. Und im gleichen Atemzug wird – natürlich – Michel Friedman aufs Korn genommen.

Gemäß dem Motto des Abends, „alles muss raus“, streift der Kleinkunstpreisträger die lokale wie die globale Politik, springt zur Börse, die sich vor allem für die Kleinaktionäre als Verlustparkett entpuppt hat, nimmt die „wilden Alten“ ins Visier und die esoterisch angehauchte, Feng Shui-Kurse besuchende Klientel und landet schließlich bei den kleineren und größeren Nöten des Alltags, um wieder in atemloser Schnelligkeit zu allen Punkten zurückzuhüpfen, kreuz und quer Verbindungen herzustellen. Die Probleme des Älterwerdens (er gehört zur Generation „Sandwich des Grauens“, angesiedelt zwischen Guido Westerwelle und Roland Koch) persifliert er ebenso wie die Dramen des Ehelebens und die Rollenspiele am Stammtisch.

Außerdem sind es die Tücken der Technik und die Dienstleistungswüste Deutschland, die Urban Priol (und vielen anderen) zu schaffen machen. Wer hat sich noch nicht über einen vollen Anrufbeantworter geärgert, wem war der Einzelrufnummernachweis auf der Telefonrechnung nicht auch schon ungelegen, oder wer ist an der Supermarktkasse noch nicht abgewiesen worden, weil ein Artikel nicht „ausgepreist“ war? Dass sich Priol dabei einiger gängiger Klischees bedient, manchmal auch übertreibt, stört nicht weiter.

Wenn alle Stricke reißen, der Haussegen schief hängt, die Technik versagt, alle „Pins“ im alternden Gehirn verschwunden sind, geht Urban Priol zum Chinesen. Wie ein roter Faden zieht sich das fernöstliche Lokal durch den Abend, genauso wie der nicht deutsch verstehende und sprechende Gehilfe, der als Entschuldigung – selbst als er im Himmel Jesus und seinen Jüngern Wein statt des gewünschten Wassers serviert – für sein Fehlverhalten nur vorbringt: „Costa Rica, erster Tag“.

Im Himmel endet scheinbar der Höllentrip des Leid geprüften und in einem Tal von Jammerern lebenden „Ich-AGlers“. Doch die erhoffte Erlösung bleibt aus, „es kommt einfach wieder von vorne“: Selbst Gottvater hat nur die Börse im Sinn….

Doch der Kabarettist macht am eigentlichen Ende noch lange nicht Schluss. Der Meister seines Fachs, der sichtlich Spaß an seiner „Arbeit“ hat, gibt gratis eine Zugabe. Die Nationalelf, als „Rudis Resterampe“ tituliert, und der Kundenservice am Bahnschalter sind die Opfer seiner spitzen Zunge. Aber dann hält“s Urban Priol doch einfach mit Aldous Huxley: „Vielleicht ist diese Welt nur die Hölle für einen anderen Planeten.“
Von unserer Mitarbeiterin Regina Wilhelm