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Alles nur Placebo

Rheinpfalz, Kultur Regional

Christoph Sieber legt im Herrenhof den Finger in die Wunden der Zeit

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Neustadt-Mussbach. Wenn er etwas bewegen und verändern würde, wäre er ja arbeitslos. Also hofft Christoph Sieber lediglich, dass er seine Zuhörer zum Nachdenken anregt. Und das hat er sicherlich geschafft; oft herrschte betroffenes Schweigen im Festsaal des Herrenhofs Mußbach, wo der mehrfach ausgezeichnete Kabarettist am Samstagabend in der Reihe „Kabarettissimo“ auftrat.

Natürlich kommt Sieber – wie momentan keiner seiner Kollegen – an der Frage vorbei, was Satire darf. „Sie muss alles dürfen. Denn allein diese Frage zeigt doch, dass wir die Zensur schon im Kopf haben.“ Die Freiheit, betont er, wolle er sich nicht nehmen lassen. „Humor unterscheidet uns nämlich von den Extremisten.“ Ganz und gar nicht einverstanden ist er mit den teilweise irren Blüten, die der Anschlag auf das Pariser Satiremagazin treibt. „Da fordert Marie Le Pen die Todesstrafe für Selbstmordattentäter“. Die CSU rufe nach der Vorratsdatenspeicherung – „Frankreich hat diese, und was hat sie gebracht?“. Die CSU könnte ja auch eine Erhöhung der Maut vorschlagen, damit es sich für die Terroristen nicht lohne, irgendwohin zu fahren. Nein, er halte nichts davon, die Demokratie mit Mitteln der Diktatur zu verteidigen.Nicht besser sind in den Augen des Künstlers die Reaktionen im Volk. Mit Pegida mache sich eine ausgesprochene „Dumpfbackigkeit breit“. Die Anhänger wollten das christliche Abendland verteidigen, indem sie dessen Werte mit Füßen träten. „Wir müssen doch um jeden Zuwanderer dankbar sein, der uns mit diesen Typen nicht allein lässt.“

Verständlich findet der Kabarettist, dass die Leute die Abstiegsangst umtreibt. Er wirft die Schlagwörter Hartz IV und Mindestlohn in den Raum. Die Firmen hätten bereits ein probates Mittel gefunden, um letzteren nicht zu zahlen: Die Stunde hat jetzt 90 statt 60 Minuten. Harsch kritisiert der gebürtige Schwabe das System, in das die Menschen gepresst werden: Mit 18 anfangen zu arbeiten, schuften bis 67 und dann am besten sozialverträglich ableben.

Die Welt sei kompliziert geworden, sagt Sieber. Viele blickten nicht mehr durch, egal, ob sie einen „mobilen Laptop“ bedienten, den Fahrkartenautomaten am Bahnhof oder die Kaffeemaschine: Unzählige Fragen gelte es zu beantworten und 20 statt einem Knopf zu betätigen. Nein, heute würde Romeo nicht mehr Julia freien. Er würde Capulet googeln, sehen, dass es sich um die Erzfeinde handelt und Julia gleich eine SMS mit „und tschüs“ schicken, später Chantal(e) heiraten.

Aber „alles hat System“. Damit „wir glauben, wir haben alles im Griff, lässt man uns den Knopf an Fußgängerampeln drücken“. Aber selbst die sei gesteuert. Die Regierenden in Berlin kündigten das Frühjahr der Entscheidung oder den Herbst der Reformen an, ohne dass je etwas geschehe: „Alles nur Placebo.“

Ja, die Deutschen ließen sich einlullen, glaubt Sieber. Dafür gebe es das Bildungsfernsehen: „Da tritt nachmittags der Dresdener Pfleger mit seinem Waran auf, und am Ende weißt du nicht mehr, wer der Pfleger und wer das Tier ist, während nachts ein paar grenzdebile Deppen Buchstaben für ein fast vollständiges Wort suchen.“ Um sich fertig machen, entwürdigen zu lassen, bewürben sich 120.000 junge Leute bei „Deutschland sucht den Superstar“. Das große Geld aber verdiene einzig Dieter Bohlen.

Brutal legt er den Finger in die Wunden dieser Zeit. Gemäß dem Motto seines Programms „Alles ist nie genug“ hört er nicht auf, selbst als die Stimmung fast die Außentemperatur erreicht hat. Er moniert die Kriegstreiberei – nimmt dabei den Bundespräsidenten nicht aus, der sich offen für militärische Lösungen zeigt – oder die Europäische Zentralbank, die meint, durch das Anwerfen der Gelddruckmaschine die Schuldenkrise zu lösen. Sieber hangelt sich weiter über den Abbau des Sozialstaats, die nichtsnutzigen Gesundheitsreformen bis hin zur Zunahme von Ressentiments gegen Arme oder Ausländer.

Aber halt, ganz ohne Lacher will der Kabarettist die Zuhörer nicht entlassen. Und so flicht er einige witzige Episoden aus seinen Bahnreisen und seiner Kindheit ein. Ein schier nicht enden wollender Applaus zeigt, dass Siebers Botschaft angekommen ist.

Gipfel der Kleinkunstpreisträger

Rheinpfalz, Kultur Regional

Reihe „Kabarettissimo“ im Mußbacher Herrenhof startet mit Christoph Sieber in die neue Spielzeit – Schleich und Butzko weitere Höhepunkte

Neustadt-Mussbach. Gleich drei Deutsche-Kleinkunstpreisträger – Christoph Sieber, Helmut Schleich und H. G. Butzko – bietet die Reihe „Kabarettissimo“ im Herrenhof in ihrer neuen Spielzeit auf. Los geht es am 24. Januar mit Sieber, der im Februar in Mainz diese wichtigste deutsche Kleinkunstauszeichnung in der Sparte Kabarett überreicht bekommen wird. Insgesamt stehen bis zum Sommer sechs Kleinkunsttermine in Mußbach an.

Der 1970 in Balingen geborene Kabarettist wird sein Programm „Alles ist nie genug“ in Mußbach vorstellen. Mit Sieber, der häufig im Fernsehen zu sehen ist, hoffe man vor allem auch die jüngere Generation anzusprechen, sagt Uwe Kreitmann, der Leiter und Programmverantwortliche der Kleinkunstbühne im Herrenhof. Denn wie viele andere Organisatoren stellt auch er fest, „dass das Kabarettpublikum eher älter ist. Vielleicht gelingt es uns, mit jungen Künstlern die Gleichaltrigen anzulocken“. Er könne sehr charmant, aber gleichzeitig sehr böse in der Argumentation sein, charakterisiert er Siebers Witz. Und der Künstler schlage eine Brücke zu „gut gemachter Comedy“. Dass es nicht einfach gewesen sei, den derzeit sehr angesagten Kabarettisten zu bekommen, verhehlt Kreitmann nicht. Umso froher sei er, dass es gelungen ist.

Neue Figuren und frische Typen wird Helmut Schleich am 21. Februar in den Herrenhof mitbringen. Unter dem Motto „Ehrlich“ rechnet der Kabarettist und Imitator nicht nur mit den Polit-Granden in München, Berlin und Brüssel ab. Er hält auch jedem Zuhörer den Spiegel vor. Und wer, wie der Titel des Programm empfiehlt, ehrlich zu sich selbst ist, wird des einen oder anderen Vorurteils überführt. Schleich wird selbstverständlich auch als kauziger Musiklehrer von Jopi Heesters, als der eine oder andere Politiker oder als sonstige bekannte Größe auftreten. Seine Paraderolle als Franz-Josef Strauß darf natürlich nicht fehlen, auch wenn der schon 27 Jahre tot ist. Schleich hat laut Kreitmann bisher sämtliche seiner Soloprogramme in Mußbach gespielt „und immer vor vollem Haus“. Dem Münchner Kabarettisten stehe mit Rainer Pause ein „grandioser Regisseur, ein absoluter Perfektionist zur Seite“. Wie für Sieber gelte für Schleich, dass nur sehr langfristig ein Termin mit ihm zu finden war.

Im Vergleich zu den beiden Genannten ist Felix Janosa, der am 21. März zu Gast sein wird, „eine spontane Entdeckung“. Bei der Freiburger Kleinkunstbörse im vergangenen Jahr „ist er mir frühmorgens aufgefallen, und ich war begeistert“, berichtet Kreitmann. Der 1962 geborene Klavierkabarettist und Komponist wurde vor allem als Macher der Kindermusical-Reihe „Ritter Rost“ bekannt und kehrt nun mit seinem Programm „In der Hitfabrik“, in dem er seine Erfahrungen und Anekdoten aus dem Musikgeschäft zum Besten gibt, wieder als Live-Performer auf die Bühne zurück. Dabei singt er unter anderem einen eigenen Text auf Can-Can-Melodie, parodiert Casting-Shows und spielt mit Musikstilen und -epochen. Glücklich ist Kreitmann, dass „wir dem Liedermacher und Komponisten einen guten Flügel bieten können“.

Keine Unbekannten in Mußbach sindTina Häusermann undFabian Schläper. „Zu Zweit“ werden sie am 25. April im Festsaal auftreten. Beide sind laut Kreitmann schon mit Soloprogrammen, aber auch zusammen im Herrenhof gewesen. Die selbstgeschriebenen Lieder und Texte, die „handgemachten deutschen Chansons“ gefielen ihm selbst „und dem Publikum“. Die zwei Künstler nähmen in ihrem Programm „Vom Umtausch ausgeschlossen“ insbesondere Alltäglichkeiten auf die Schippe, so das Phänomen, dass das Gras in Nachbars Garten immer grüner ist, die Kinder anderer Leute schlauer sind als die eigenen und andere mehr Payback-Punkte haben. Regisseur Jo van Nelsen, der auch einige Texte schreibe, trage zum guten Gelingen der Show bei, weiß Kreitmann.

Mit Hans Günther oder besser H. G. Butzko kommt am 30. Mai der dritte Kleinkunstpreisträger nach Mußbach, der auch schon häufiger hier zu Gast war. Gemäß dem Motto seines neuen Programms „Super Vision“ will er messerscharf politische und wirtschaftliche Begebenheiten analysieren und kommentieren. Unterwegs sei Butzko auch in den neuen Medien, wo er seine Meinung gern beherzt und pointiert wiedergebe, sagt Kreitmann.

Zu guter Letzt wird am 20. Juni Marco Tschirpke mit dem Programm „Am Pult der Zeit“ zu erleben sein. Der Musikkabarettist, der zum zweiten Mal im Herrenhof auftritt, begeistert mit seinem Klavierspiel, aber auch mit seinen Wortspielen, Wendungen und Reimen. „Pointen aus der Weltgeschichte“ sind dem jungen Künstler ebenfalls nicht fremd.

Außer dass bei den Veranstaltungen mit den genannten Kleinkunstpreisträgern die Preise leicht erhöht werden mussten, hat sich laut Uwe Kreitmann nichts geändert. Er hofft, dass sich das erste Halbjahr 2015 ähnlich erfolgreich wie das ganze Jahr 2014 gestaltet. Gut angenommen werden nach seinen Worten die neu gestaltete Homepage und das modernisierte Logo. Auch in den neuen Medien sei „Kabarettissimo“ präsenter. Und für das zweite Halbjahr kündigt er schon jetzt ein „bestimmt ebenso attraktives Programm“ an.

Noch Fragen?

Alle „Kabarettissimo“-Veranstaltungen finden im Festsaal des Herrenhofs in Neustadt-Mußbach statt und beginnen um 20 Uhr. Karten gibt es noch für alle Auftritte bei Tabak Weiss (06321/2942), in der Papier-Schatulle Mußbach (06321/60360) und unter www.kabarettissimo.de. Sogar einige Abonnements sind noch zu haben. Theaterkasse (am Veranstaltungstag jeweils ab 15 Uhr): 06321/96399918. (giw)

JE Suis Charlie