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Die Kunst der Selbstinszenierung

Rheinpfalz, Kultur Regional

Kabarettist Mathias Tretter präsentiert sein aktuelles Programm „Selfie“ im Mußbacher Herrenhof

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Neustadt. Folgt die Apokalypse auf die Apotheose? Diese Frage beantwortet Mathias Tretter zwar nicht. Doch er erklärt en detail, was es mit beiden Phänomenen auf sich hat. Der bekannte Kabarettist war einmal wieder zu Gast im Herrenhof in Mußbach. Am Freitagabend legte er den Zuhörern, die den Festsaal bis auf den letzten Platz füllten, seine Sicht der Welt – der kleinen wie der großen – dar.

Liebhaber haben das musikalische Großwerk sicher gleich erkannt. Durch den dunklen Saal schallt die Ouvertüre von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“. Unter den Klängen erscheint der Triumphator. In siegessicherer Geste präsentiert er sich: Mathias Tretter erklärt, dass er nur ganz arg berühmt sein möchte. Denn bekannt, wichtig, bedeutend sein – das sind die Qualitäten, die heute gefragt sind. Und für Auftritte solcher Heroen liefere nur Wagner die passende Musik. „Stellen Sie sich vor, ich wäre mit Mozart aufgetreten …“. Nein, mit einem Österreicher wolle er lieber nicht einmarschieren.Ja, er strebe die Apotheose an, was, „wie die Gebildeten hier wissen“, die Erhebung des Menschen zum Halbgott sei – also „zum Apotheker“, sagt Tretter. Er wolle, dass die Leute ihn auf der Straße erkennen und nicht wie neulich im Zug ihn mit dem Mitarbeiter aus der Volksbank verwechseln. Heftig karikiert der gebürtige Franke die grassierende Sucht, sich ständig ins rechte, nein ins bessere Bild zu rücken. Der Zweck heiligt dafür jedes Mittel. So lasse er natürlich auch seine Fotos für Plakate retouchieren. Obwohl unter seinem Konterfei „Selfie“ – so heißt das aktuelle Programm – stehe, habe er das Bild nicht selbst geschossen, wie denn „mit den Händen in den Hosentaschen?“.In einem kleinen Exkurs geht Tretter auf die früher notwendige Passbild-Fotografie in Bahnhofs-Kabäuschen ein – eine Stehbox, die häufig zweckentfremdet wurde, wie zu riechen war. Als ihn der Mann auf dem Amt beim Beantragen des Personalausweises nach seinem „Pissbild“ gefragt habe, „kam der Versprecher nicht von ungefähr“.

Gekonnt wechselt der Kabarettist vom Banalen ins Tiefgründige. Da lachen die Zuschauer noch über Pointen à la Mario Barth, während Tretter schon die Ursachen der Flüchtlingskrise zu eruieren sucht. Krieg, Verfolgung, Folter und drohende Gefangenschaft – eben Apokalypse – seien für die meisten die Gründe, ihre Heimat zu verlassen. Andere kämen, weil sie arm seien. Wie zynisch sei es eigentlich, die Menschen zu kategorisieren, die einen aufzunehmen, die anderen abzulehnen – allen drohe ein bitteres Ende. Und wir? Machten uns Gedanken darüber, wie wir auf dem Küchenregal die elektrische Pfeffermühle, den Eierköpfer und den Tomatenstrunkentferner arrangieren. Wir häuften so viel Überflüssiges nur an, weil Konsum und das daraus folgende Wachstum oberstes Gebot seien. Ist Wachstum unendlich? „Nein“, meint Tretter. „Entweder wir beenden es, oder es beendet uns irgendwann.“

Aber nicht nur die Luxusgüter nimmt er auf die Schippe. Ähnlich verhalte es sich mit Zuständen: Sein fränkischer kiffender Freund Ansgar und sein sächsischer Kumpel Rico erklären, dass kein Mensch mehr eine Midlife-Krise habe, „das war 80er Jahre“; heute habe man „Burnout“. Und „die neue Laktoseunverträglichkeit ist Apotheose“.

Wer aber groß herauskomme wolle, brauche Charisma, müsse geheimnisvoll wirken, habe Rico konstatiert. Deshalb sei die moderne Feststellung „Transparenz schafft Vertrauen“ völliger Unsinn. Nur was intransparent sei, sei interessant. „Stellen Sie sich vor, wenn wir von Franz-Josef Strauß alles gewusst hätten.“ Heutzutage werde ja „jeder Mist“ in die Welt hinausposaunt per SMS, Twitter, Facebook. Immerhin hielten auf diese Weise wenigstens alle „Arschlöcher dieser Welt“ die Klappe, frohlockt der Leipziger.

Durch die sozialen Medien verändere sich die Sprache, hält Tretter fest. Sie werde ökonomischer: Präpositionen? Die brauche keiner mehr. „Ich geh’ Aldi“, reiche doch. Und gleich zeigt er, wie sich Goethes Faust in anderthalb Minuten – „länger können sich junge Leute nicht konzentrieren“ – in Jugendsprache anhört.

Zur gelungenen Selbstinszenierung gehört nach Ansicht des Kabarettisten auch der richtige Wohnort. Hip sei gerade Leipzig. Schon gehe dort die Angst vor Gentrifizierung um; das Plakat am Bahnhof mit der Aufschrift „Schwaben zurück nach Berlin“ zeuge davon. Die ersten Hipster seien aber bereits hier, hätten Kinder gezeugt, was ebenfalls hip sei: Babyboom in Leipzig. Im Kindergarten werden Gustav und Beowulf gerufen.

Mathias Tretter beackert viele Themen – IS, Flüchtlinge, die Kanzlerin und ihre Entourage und die mögliche Fusion der vier Weltreligionen. Kein Blatt nimmt der Künstler vor den Mund, scheut selbst vor No-Go-Sprache, mitunter gehäuft, nicht zurück.

Kräftiger Applaus, für den sich der Kabarettist mit Zugaben bedankt, beweist, dass der fränkische Sachse angekommen ist.

Von Regina Wilhelm

Mathias Tretter
16.10.2015

Trommelschläge in wechselndem Kaliber

Rheinpfalz, Kultur Regional

Das Kabarett-Duo „Die Buschtrommel“ verabschiedet sich „schonungslos“ vom „Kabarettissimo“-Publikum im Mußbacher Herrenhof

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Das Kabarett-Duo „Die Buschtrommel“ verabschiedet sich „schonungslos“ vom „Kabarettissimo“-Publikum im Mußbacher Herrenhof

Neustadt-Mussbach. Wenn Andreas Breiing und Ludger Wilhelm die Trommel rühren, dann übermitteln sie unglaubliche, aber wahre Nachrichten. Wenn sie dabei die Höhepunkte aus neun Kabarett-Programmen auf die Bühne bringen, dann ist das geballte Satire, köstlich und böse, witzig und ätzend zugleich: Am Samstag gastierte „Die Buschtrommel“ mit ihrem letzten Politprogramm „Schonungslos“ im Mußbacher Herrenhof.

Die zwei Kabarettisten aus Münster stehen kurz vor ihrer Trennung. Als wollten Andreas Breiing und Ludger Wilhelm deshalb noch einmal richtig zulangen, schrecken sie in „Schonungslos“ nicht vor harten, auch schmerzhaften Trommelschlägen zurück. Ihr Instrument haben sie in mehr als 20 Jahren einzusetzen gelernt, haben in dieser langen Zeit Zu- und Missstände enthüllt, angesichts derer sich sogar die Atheisten den Zorn Gottes herbeiwünschen.Doch beim Enthüllen bleiben sie nicht stehen: Das Buschtrommel-Duo lästert, streitet, jammert und höhnt, was das Zeug hält. Auch gegenseitiges Bespötteln gehört zu seinen Stärken: Im wechselseitigen Hinterfragen setzt es Schläge und Seitenhiebe, die das Publikum aus der zuerst gepriesenen „Insel der Harmonie“ unsanft hinaus befördern.

Nein, harmonisch geht es wirklich nicht zu an diesem Abend im Festsaal des Kelterhauses im Herrenhof. Dazu ist dieses Gespann zu streitlustig, empört und aufwühlend. Vielleicht, so kann man mitunter den Eindruck gewinnen, hat es sich aber auch stückweise abgenutzt. Während sich die erste Spielhälfte streckenweise etwas zäh gestaltet, laufen die Kabarettisten nach der Pause immer mehr zur Hochform auf.

Ihre Dialoge, schrullig und sprunghaft ausgefochten, wechseln mit szenischen Einlagen. Sie lassen Neurosen auf Beton erblühen und bringen Politiker zum Singen. So mimt Andreas Breiing bebrillt, gescheitelt und ohne Rückgrat, dafür mit fließendem Mundsekret einen haltlos in sich zusammen sinkenden Pofalla. Dann wieder schlüpfen Breiing und Wilhelm in die Rollen zweier Senioren, die frustrierende Nachrichten von der Rentenfront und anderen Schauplätzen zum Besten geben und dabei die Verrücktheiten der Jetztzeit vorführen. Stichelnder Humor und narrendes Veralbern wechseln mit zynischer Satire. Bei sensiblen Themen wie Kindesmissbrauch geht das Duo spürbar an die Schmerzgrenze. Solche riskanten Unterfangen bewirken ein Raunen im Publikum. Nur einen Hauch argloser geht es zu, wenn Wilhelm als einfältiger Willi aus Wanne abstruse Methoden der Geldanlage schildert. Oder wenn Angriffe gegen raffgierige Manager getrommelt werden und dabei anschaulich das Elend ihrer bedauernswerten Familien in den Flüchtlingslagern von Liechtenstein und Monaco ausgemalt wird.

Aufs Tapet kommen frappierende Wort- und Gedankenspiele, die sich bis in bizarre Komik steigern. Mal wird die Bühne zum Parkett für einen schmissigen und schmiegsamen Tango mit vier Geldkoffern, mal wird sie zum Sehnsuchtsort voll Weltschmerz: Das amüsierte Publikum erlebt, wie einer lamentierend mal wirklich leben will „ohne wenn und Abel“, wie er saufen will „ohne die Katze im Hinterkopf“ und wahrhaft „genießen ohne Treue“.

Das ist gelungener Klamauk, der bestens ankommt. Bei allem Gelächter war im sommerlich aufgeheizten Saal aber auch zu spüren, dass die Buschtrommler mit ihrer satirisch überspitzten Zeitkritik den Nerv der Zuschauer treffen. Alles in allem: Mit Rhythmus und Schlägen in wechselndem Kaliber bildet „Schonungslos“ einen gelungenen Ausklang.

Von Sigrid Ladwig