Von Regina Wilhelm
Mit kräftigem Applaus wird Reis begrüßt. „Welch ein schönes Geräusch“, sagt er dazu. Das habe er die vergangenen zwei Jahre arg vermisst. Nein, jammern wolle er nicht. Schließlich könnte er mit seinen 58 Jahren – „das beste Alter für eine Umschulung“ – auch noch „was anderes machen“. Spontan fällt ihm Kanzler ein. Aber der Job sei nicht leicht, auch nicht leicht zu bekommen, sagt er auf „Sitcom-Laschet“ verweisend. Schon hebt er zu einem Rundumschlag auf die anderen frisch gewählten Polit-Granden an: Annalena, geopolitisch desorientiert und in der falschen Steuerklasse. Auch in den deutschen Wäldern kenne sie sich nicht so gut aus. Gut, zu Weihnachten habe sie eine göttliche Zuwendung – „berufsbedingte Einkünfte“ – erhalten. Deshalb jemanden kreuzigen? „Das war einfach nur blöd“, räumt Reis ein.
Als nicht blöd schätzt der Künstler Olaf ein. „Cum-Ex, Wirecard – das hat der sich verziehen.“ Entschuldigend fügt er an, dass Scholz eben geprägt sei vom HSV und einem Leben im Schatten der Raute. „Nein, der trägt nichts nach, der ist total gechillt.“ Selbst Buddhisten entspannten jetzt mit „Ooolaaaf“ statt mit „Ohmm“. Und noch eine Fähigkeit übernähmen die Buddhisten vom Kanzler: „Sie verscholzen im Nirvana ihrer selbst. Dann sind sie weg. Wie Olaf, wie Jochen Behle bei den Olympischen Spielen 1980.“ Ein Seitenhieb auf die aktuellen in China folgt auf den Fuß. „Angela fehlt mir.“ Reis zeigt ein trauriges Gesicht. Anders die CDU: „Die braucht Jahrzehnte, um sich von ihr, der ,Unverblühbaren’, zu erholen.“ Dabei habe die CDU einen starken Gegner: der Tod.
Zurück zu „Oil of Olaf“, der wie in Zeitlupe spreche und über eine „gediegene intellektuelle Fließgeschwindigkeit“ verfüget. „Wieso wurde der eigentlich gewählt?“, fragt der Künstler. „Weil 60 Prozent der Frauen einen Mann und keine Annalena wollten“, antwortet er sich selbst. Auf scheinbar dünnes Eis begibt sich Reis mit dem „heiklen Thema Frauenwahlrecht“. Aber anders als vermutet, bricht er eine Lanze „für die den Männern überlegenen Frauen“. Blödmann, meint er grinsend, sei eine Tautologie, so wie „Heiratsschwindel“ und „Russenmafia“. Schnell schiebt er erklärend nach: „Ich bin intolerant.“ Diese Eigenschaft werde niemals schlecht, nie „toleranzig“. Thoma Reis greift einmal mehr ein Stichwort auf, um zum nächsten Komplex zu springen. Warum er bei Toleranz Tino Chruballa assoziiert? Obwohl dieser deutsche Gedichte schätze, „kennt der kein einziges“. Woher sollte er auch?
Chruballa wiederum führt zu den „zwei Ossinen“, die jetzt Ministerämter innehaben. Da ist Klara Geywitz aus der Potsdamer Hausbesetzerszene, auch Immobilienhandel genannt, was aber ebenfalls mit Häuserkampf zu tun habe. Ihre Benennung als Bauministern sei ähnlich der eines Schweins zum Metzger. Reis: „Auf jeden Fall gute Nachrichten für Wohnungsunternehmen wie Vonovia“
Die zweite, „Zonen-Steffi Lemke“, steht dem Umweltressort vor. Mit ihrem Diplom für Tierproduktion könne Lemke, die „in einer Platte aufgewachsen ist“, bei Käfighaltung sogar von eigenen Erfahrungen sprechen. Ihr Fett wegbekommen ebenfalls Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Letztere, sie halte wohl die Ukraine für ein gallisches Dorf, habe das Amt von AKK – „das klingt wie ein deutsches Sturmgewehr“ – übernommen. Diese wiederum lädt ein zu einem bitterbös-scharfen Exkurs über das Chaos, das Deutschland und der ganze Westen in Afghanistan hinterlassen haben.
Svenja Schulze. Reis: „Die weiß vieles nicht, ist durch den PCR-Test gefallen“; brauche gar selbst Entwicklungshilfe. Es folgen Christian Lindner, „ein Glühwürmchen, das als Berufswunsch Flutlicht angegeben hat“, mit seinen „zwei Funzeln Wissing und Buschmann“. Für Anne Spiegel, die Ministerin für „Ged…“, äh für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vor allem Cem Özdemir, der den Künstler zum Anstimmen von „Broiler hört die Signale“ animiert, gibt es Szenenapplaus. Nicht weniger grandios-komisch beschreibt Reis den „knuffigen Robert (Habeck)“ oder Karl Lauterbach, der jetzt aus der Wohngruppe Lanz ausgezogen ist.
Noch nicht viel fällt ihm zu Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt ein, der „das lachende Michelin-Männchen“ ablöste. Immerhin mache Schmidt mit seinem „grinsdebilen Lächeln“ den Kanzler froh.
Der gebürtige Freiburger arbeitet sich nicht nur an der deutschen Regierung ab. US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris knöpft er sich ebenso vor wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den ehemaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, den russische Präsident Wladimir Putin oder die „Junkerin“ Uschi von der Leyen. Da werden Eigenheiten oder kleine Auffälligkeiten aufgegriffen und zu einem perfekten, teils vor Bosheit triefenden Bild verarbeitet. Dass er ob seiner Wortwahl mitunter für Schockstarre beim Publikum sorgt, ficht den Kabarettisten nicht an.
Neben der Politik beleuchtet er in gut zwei Stunden Sport, Religion, Esoterik, Thermomix-Kult, Veganismus, Feminismus und Genderismus. Seine vielen Gedanken – „mein Kopf ist so voll“ – packt er in wohlgesetzte Worte, mit denen er ausgiebig jongliert. Ihm zuzuhören, macht irre Spaß. Ernst wird er beim Schlussappell ans Publikum: „Bleiben Sie klug!“.
Quelle
Ausgabe | Die Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 43 |
Datum | Montag, den 21. Februar 2022 |
Seite | 15 |
Das Lachen in Zeiten von Corona hat seine eigenen Gesetze. Daher spielt Thomas Reis ab sofort ein fast ganz neues Programm: „Mit Abstand das Beste“, eine humoristische Riesen-Packung mit vielen aktuellen, vulnerablen und infektiösen Texten, gespickt mit komischen Klassikern seines satirischen Schaffens. Mit diesem schillernd scharfsinnigen Kabarett-Programm voll leichtfüßiger Bissigkeit schafft Reis ein ganz neues „Wirus-Gefühl“.
Wir lachen uns tot, denn Lachen ist die beste Medizin. Das ist ein Dilemma. Genau wie das uns alle beherrschende Thema. Könnt Ihr’s noch hören? Nein. Interessiert Euch für was anderes? Nein. Das ist das zweite Dilemma. Thomas Reis will sein Publikum aus diesem Dilemma führen. Wie? Wo Wahn zu Sinn wird, wird Humor zur Pflicht! Mögen die hygienischen Rahmenbedingungen noch so kulturfeindlich und spaßbremsend sein, für die Nähe zum Puls der Zeit gilt keine Kontaktbeschränkung. Und Thomas Reis ist immer ganz nah dran, „es gelingt ihm stets, sein Kabarett so frisch zu halten wie Kopfsalat aus der 3-Sterne- Küche“ , heißt es auf WDR 5.
„Mit Abstand das Beste“ ist es, den Humor nicht zu verlieren, und dafür ist Kabarett à la Thomas Reis sicher mit Abstand das Beste. Auch wenn das mit dem Abstand nicht so leicht ist für den eher als distanzlos bekannten „Kult-Kabarettisten ohne Obergrenze für schwarzen Humor“ (SWR 3), der sich vor Nähe nie gefürchtet und deshalb schon oft die Zunge verbrannt hat. Im Frühjahr 2020 wurde er mit dem Ehrenpreis des Kleinkunstpreises des Landes Baden-Württemberg für sein (bisheriges) Gesamtwerk ausgezeichnet. Leider konnte davon niemand Kenntnis nehmen, da es sich bei dieser staatstragenden Huldigung um eine Geister-Ehrung handelte. Das war sehr schade für den Künstler, da die Jury schmeichelhafte Worte für seine derzeit arg geschundene Künstlerseele fand: „In puncto Scharfzüngigkeit spielt er in der Champions League. (…) So sieht brillantes Kabarett aus, in dieser Qualität eine absolute Extra-Klasse.“ Es steht in den Sternen, ob die Preisverleihung im Laufe der nächsten Jahrzehnte unter Einbeziehung der Öffentlichkeit nachgeholt wird. bgu
KARTEN
Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr (Einlass ab 19 Uhr), Eintritt: 25,- Euro zuzüglich Vorverkaufsgebühr, Abendkasse: 30,- Euro, Kartenvorverkauf bei Tabak Weiss in Neustadt, Telefon 06321 2942, Online-Ticket zum Selbstbuchen unter www.kabarettissimo.de, am Veranstaltungstag ab 18 Uhr unter Telefon 06321 963999-18
Quelle
Ausgabe | Die Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 39 |
Datum | Mittwoch, den 16. Februar 2022 |
Seite | 15 |