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Kultur Regional

Kabarett im Herrenhof: „Kalender, deine Tage sind gezählt!“ mit Marco Tschirpke

Von Cosima Schade

Der Kabarettist Marco Tschirpke sorgt in seinem Programm „Kalender Deine Tage sind gezählt“ im Herrenhof am Samstag immer wieder für überraschende Wendungen. Das Publikum hat kaum Zeit zu klatschen: Die Hirne rauchen.

Marco Tschirpke, der 1975 geborene Musikkabarettist und Lyriker, 2018 Deutscher Kleinkunstpreis, 2015 Spiegel Bestsellerautor mit dem Gedichtband „Frühling, Sommer, Herbst und Günther“ ist im Herrenhof kein Unbekannter, er ist schon mehrfach hier aufgetreten. So beginnt er dann auch seine „Show“: „Wer hat mich schonmal gesehen? “. Gut die Hälfte zeigt auf. „Wer hat mich zum letzten Mal gesehen“? Lacher.

Dann entschuldigt er sich, er entspräche gerade nicht seinem Schönheitsideal, vielleicht sei sein Zenit auch schon überschritten … die Bescheidenheit natürlich gespielt – so wie man bei all seinen Texten nie so recht weiß, was kommt, was ernst gemeint ist, was provozieren soll. Mal extrem ironisch, plötzliche überraschende Wendungen, während man nachdenkt, kommt schon wieder das nächste Lied, das nächste Gedicht- mit einem ganz anderen Thema. 

So ist dann auch seine Einführung nicht ernst zu nehmen, in der er vorgibt, eine feste Struktur zu haben: „Für diejenigen, die eine Strichliste führen, ich werde 30 Lieder spielen, wir beginnen mit dem Neujahrsvorsatz vom letzten Jahr“.

Tschirpke ist bekannt für seine „Lapsuslieder“, kurze, gereimte Beiträge, begleitet von Klavier oder Ukulele. Jedes Werk für sich abgeschlossen. Passend zu den Sehgewohnheiten von Youtube, wo er einen eigenen Kanal unterhält.

Zwischen den Musikbeiträgen trägt er mit getragener Stimme seine Gedichte vor. Gedichte und Lieder führt er wiederum ein, indem er in Ductus und Tonfall einen Lyrikprofessor, Intellektuellen, Rezensenten nachahmt. „Das nächste Lied beginnt mit einer Dissonanz“: Sodann wird er dem Publikum gegenüber frech, was man dem charmant Blickenden verzeiht: „Ob Sie das als Dissonanz empfinden, ist eine Frage der Hörerfahrung“. Oder: „Wenn Sie das nicht kennen, ist das eine Frage des Bildungskanons“. Die Publikumsbeleidigung wird dann sofort wieder zurückgenommen, zugebend, dass die Zeiten eines allgemeinverbindlichen Bildungskanons vorbei seien.

Seine Texte sind teilweise Nonsens: „Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder, Frühling, Sommer, Herbst und Günther. Der Frühling bringt Blumen, der Sommer bringt Klee, der Herbst bringt Trauben, und Günther schippt Schnee.“ Es folgen Texte mit einem Hauch Zeitkritik: „Ich habe den Zugang verloren zu meinem Kind“ traurig getragene Musik, „es kapselt sich ab, igelt sich ein, wird doch nichts Schlimmes sein“ – um dann die Wendung zu nehmen „ich mache seine Hausaufgaben, es ist ja nichts dabei, in Mathe stehe ich auf drei“. Jeder kennt ja diese überprotektiven Eltern.

Der sinnbildhaft Freizeitbeschäftigungen, bei denen man sein prestigeträchtiges Equipment zeigen kann: Vogelbeobachtung: „Wer reich ist, holt die Tiere sich mit dem Fernglas ran, wer arm ist, lockt die Vögel nur mit Brötchenkrümeln an“. 

Neu – und das ist eine thematische Wendung, der Text noch unveröffentlicht, politische Kritik zum Thema Krieg und Ukraine: „Im Anton spukt ein Waffennarr, ich finde ihn, er mich bizarr. Wie viele Tote braucht er noch, um einzusehen, dass er doch von Anfang an im Irrtum war. Ein Staat, der solches Personal und Lobbyisten ohne Zahl in seine höchsten Gremien steckt, beweist nur seinen Grunddefekt: In ihm regiert das Kapital.“ Stille im Saal. Nicht ganz die übliche Meinungsmehrheit getroffen. Es folgen schnell andere Themen, der Verweis, dass er noch einen Gedichtband im Angebot hat für den „Giftschrank“, man solle ihn nur kaufen, wenn man seine Meinung teile. „Ich bin froh, dass Sie durchgehalten haben, sonst gibt’s viel Schwund, das Publikum bereinigt sich selbst“.

Zugabe, unpolitisch, der veränderte Schlager „Felicita“ von Al Bano und Romina Power begleitet vom Band- natürlich wieder mit einer überraschenden Wendung: Felicita ist ein Pferd. Auf die Frage, ob er plant, politischer zu werden, legt er sich nicht fest, möchte dies eigentlich politischen Kabarettisten überlassen. Aber mal sehen, er ist ja Meister der Wendungen.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 281
DatumMontag, den 4. Dezember 2023
Seite22