Mit der Mundtrompete der vollendeten Verzweiflung


Rheinpfalz, Kultur Regional

Kabarettist Lennart Schilgen spürt im Herrenhof den Untiefen des Lebens nach – Subtiler Humor und skurrile Gedichte

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Von Oliver Steinke

Neustadt-Mussbach. „Engelszungenbrecher“ heißt das Programm des 30-jährigen Berliner Kabarettisten Lennart Schilgen, der am Samstagabend in der Reihe „Kabarettissimo“, der Kleinkunstbühne des Herrenhofes, seine mit subtilem Humor gewürzten Lieder und skurrilen Gedichte präsentierte.

Gut gelaunt und locker begann Schilgen, der im vergangenen Jahr für diesen Auftritt den bekannten „Stuttgarter Besen“-Preis gewann, und ließ sich auch nicht davon entmutigen, dass er an diesem Abend wohl nur einen Teil der etwa 170 Gäste erreichte.Doch der Reihe nach: Seit dem letzten Besuch in Neustadt im Hambacher „Theater in der Kurve“ vor genau drei Jahren kann Schilgen, der Deutsch und Französisch studiert hat und bereits seit der Kindheit Gitarre spielt, auf viele erfolgreiche Auftritte zurückblicken. So gewann er außer in Stuttgart auch noch den Bielefelder Kabarettpreis 2016 oder punktete emsig in der „Kabarettbundesliga“. Tatsächlich lebt er heute von seiner Kunst, tourt pro Jahr durch bis zu 90 äußerst unterschiedliche Orte, von der Szenekneipe bis hin zu Konzertsälen. Seine Protestsongs handeln weniger davon, die Welt zu retten, sondern eher wie im „Liegenblieben Blues“ davon, morgens nicht aufstehen zu wollen. Er überrascht dabei oft mit unerwarteten Assoziationen, etwa „Ich habe heute so viel vor … mir hergeschoben.“

Schilgen sucht und findet Witz, auch in eigentlich eher tragischen Momenten der Liebe, etwa wenn er in „Marta“ einen jungen Mann singen lässt, der Angst hat, seine Freundin durch ein Auslandssemester zu verlieren: „Anstatt um die halbe Welt zu fliegen, könntest du mit mir auf der Couch rumliegen, meinst du nicht, dass man gleich nebenan, eben soviel erleben kann?“. Ein Richard Wagner inspiriert ihn nicht zu Großem, sondern nur zu einem „Handyvernichtungsmotiv“. Seine eingängigen Lieder wechselt er mit Gedichten ab, über einen herumhopsenden Mops etwa oder über ein Kraut rauchendes Pferd. Sie sind weniger wegen der etwas kryptischen Pointen lustig, sondern wegen des dabei versprühten Charmes und des Schalks, den Lennart schon mit der Muttermilch aufgesogen zu haben scheint. 

Auch ein Bezug auf die „Engel“ in „Engelzungenbrecher“ fehlte nicht. So erinnerte eine Kurzgeschichte entfernt an den Dialog Mohammeds mit dem Engel Gabriel. Schilgens Version benötigte die Hilfe der zwölfjährigen Sarah aus dem Publikum, die die Sprechrolle des interaktiven Geistwesens übernahm. Allerdings ging es hier nicht um ein heiliges Buch, sondern, viel bescheidener, forderte die Stimme den Künstler lediglich auf: „Schreib ein Gedicht!“.

In „Was mir fehlt“ plädiert Schilgen dafür, weniger auf Erfolg und Reichtum zu achten, sondern auf das, was wirklich zählt, die Liebe natürlich. Dumm nur, wenn man dann das Kaugummipapier nicht mehr finden kann, auf das man die Telefonnummer der Angebeteten geschrieben hat. Da hilft dann nur noch die dazugehörende jammernde „Mundtrompete der vollendeten Verzweiflung“.

Auch musikalisch ist das alles richtig gut. Hätte Schilgen etwas weniger Schalk im Nacken und würde etwas weniger Selbstironie verwenden, so könnte er nicht nur in die Kabarettbundesliga, sondern in die Liga der erfolgreichsten deutschen Liedermacher einsteigen. 

Doch große Botschaften und Gefühle meidet er, hinterfragt sich lieber regelmäßig, auch auf der Bühne. Diese Doppelbödigkeit kam an diesem Abend nicht bei allen gut an. So wollten nur wenige den Refrain von Schilgens „WM-Hymne“ mitsingen – geschrieben, wie er sagt, „in einer Zeit ohne WM, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben“, in der sich der Künstler über die Verschmelzung in einem diffusen „Wir-sind-alle-eins“-Nationalgefühl lustig machte. 

Der rote Faden des Programms sind denn auch eigentlich weniger Liebeslieder und Protestsongs, sondern das Plädoyer dafür, das Lustige auch in scheinbar so wichtigen und schwierigen Augenblicken zu erkennen und etwas gelassener mit unseren oft zu hohen Ansprüchen umzugehen. Denn oft ist es ja so, wie er singt: „Du bist nicht der Jäger, Du bist das Reh.“