Von Regina Wilhelm
Neustadt-Mussbach. Spätestens mit seiner Hymne auf Neustadt hatte sich Christoph Brüske am Samstagabend endgültig in die Herzen der Zuhörer im Herrenhof-Festsaal gesungen. Mit schier nicht enden wollendem Applaus bedankte sich das Publikum für die Analyse der „Generation Gaga“, die der Kabarettist zuvor bei seinem mittlerweile dritten Auftritt in der Reihe „Kabarettissimo“ vorgelegt hatte.
„Herzlich willkommen in Kreitmanns Sauna“, ruft Christoph Brüske in den Festsaal. Und tatsächlich – es ist schwül und drückend im Raum. Wasserflaschen statt der üblichen Weingläser stehen auf den Tischen. Viele Frauen haben Fächer mitgebracht und wedeln kräftig, andere bedienen sich dazu des Programmhefts. Auf der Bühne ist es sicher noch heißer. Brüske muss sich immer wieder mit einem Handtuch abtrocknen. Aber er besitzt offensichtlich genügend Kondition, um die gut zwei Programmstunden sprechend, singend und tanzend durchzustehen.Mit einem dicken Lob auf Uwe (Kreitmann), den Gründer und künstlerischen Leiter der Reihe, startet Brüske seinen Vortrag. „Ohne ihn wäre ich heute nicht hier.“ Außerdem würdigt er den Service, den Salat, der ihm in der Garderobe gereicht worden ist, und die Spiegel, die ihn schlanker erscheinen lassen. Aber nicht nur der Herrenhof und die Mitstreiter, auch das „Kleinod zwischen Lindenberg und Haßloch“ hat es dem Kölner offensichtlich angetan. Er freue sich aufrichtig, wieder hier zu sein und bekannte Gesichter zu sehen, betont er. Ob ihm die Zuschauer das abnehmen? Egal.Nach dem euphorischen Intro legt Brüske los. Mit der Trauerfeier für den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, die sich zu einem Trauerspiel entwickelt, geht er auf aktuelles Geschehen ein. „Nein, das hat Kohl nicht verdient“, ruft der Kabarettist und erhält spontan Applaus. Doch nicht nur der große Politiker, auch viele andere Prominente, Schlagersänger und Schauspieler, seien in jüngster Zeit gestorben, bedauert der Künstler und erinnert an Michael Jackson, Roger Cicero, Joe Cocker oder Bud Spencer. Andere dagegen, die ihn eher abschreckten, lebten weiter.
Vorsicht! Die Abschaffung des Majestätsbeleidigungsparagrafen sei noch nicht durch, mahnt Brüske sich selbst. Und auf die Melodie von „Dschingis Khan“ singt er einen selbst gestrickten Text auf den „Despoten vom Bosporus“. Brüske spricht von der dunklen Seite der Macht, von einem offensichtlich dilettantisch vorbereiteten Putsch – „wie kann so etwas passieren?“ – und von „treuen Vasallen, die Erdogan in europäische Länder schickte“. Doch die Niederlande hätten sich ihm entgegengestellt, hebt der Künstler den holländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte auf den Schild. In den Augen Erdogans müsse darum wohl auch dieser ein Anhänger der Gülen-Bewegung sein.
In einem Parforce-Ritt streift Christoph Brüske die jüngsten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Er erinnert an die Übergriffe an Silvester 2015 in Köln, an die Reaktion der Oberbürgermeisterin, die allen Frauen für die Zukunft empfahl, auf eine Armlänge Abstand zu gehen – „im Karneval wird aus Schunkeln dann ein Sirtaki“ – und an den verblüffenden Kommentar des Bundesinnenministers nach dem wegen Terrorwarnung abgesagten Fußballspiel zwischen Niederlande und Deutschland. Nach der Begründung für die Absage gefragt, hatte der Minister gemeint: „Teile der Antwort könnten die Bevölkerung verunsichern“. Silvester 2016 mitsamt der Kritik von Simone Peter, die sich über den Begriff „Nafri“ aufgeregt hatte, sparte er ebenso wenig aus wie die unsägliche geforderte politische Korrektheit. Als schlimm wertet es Brüske, dass Weihnachtsmärkte mittlerweile Wintermärkte, St.-Martins-Umzüge Sonne-Mond- und Sterne-Umzüge hießen. „Werden in Ludwigshafen die Penner demnächst ,location freelancer’“ genannt?“
Auch der momentanen Lieblingsfigur der Kabarettisten, dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump, widmet der Künstler einen großen Abschnitt. Kein gutes Haar lässt er an dem „71-jährigen Baulöwen mit dem Twitter-Tourette“. Nachdem Trump – gemäß alternativer Fakten – bereits einen terroristischen Anschlag in Schweden gesehen habe, hätten ihn die dortigen Politiker einfach Ikea überlassen; seitdem gebe es in dem Möbelgeschäft den „Trump-Vollpfosten“. Ach, beklagt der Kölner in einem Lied, wäre doch die Wahl anders ausgegangen. Doch „the game’s over, Hillary wird es nie“. Weiter springt Brüske zum ewigen Griechenland-Problem, den EU-Mitgliedstaaten im Osten, die zwar ihre Rechte, aber nicht ihre Pflichten und Verantwortungen kennten, und zu den Briten, deren Premierministerin, mit einer satten Mehrheit ausgestattet, dumm genug war, Neuwahlen anzusetzen.
Ja, Christoph Brüske kratzt an vielen Oberflächen, überlässt es aber dem Zuhörer, sich tiefere Gedanken zu machen. Ob Jugendsprache, Pegida und die Sachsen, Veganer und sämtliche Parteien sowie ihre bekanntesten Vertreter – alle bekommen ihr Fett ab. Nach dem eindringlichen Appell „Lasst uns wählen gehen und wir werden sehen, dieses Land wird nicht untergehen“, interpretiert der Kabarettist seine wunderbare, mit zahlreichen Details gespickte Hommage auf Neustadt. Verabschieden darf er sich darauf erst nach einigen lautstark geforderten Zugaben, die er aber sehr gern gewährt.