Satire ist der Zorn der Aufklärung

Rheinpfalz, Kultur Regional

Kabarettist René Sydow schlägt im Mußbacher Herrenhof ein

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Neustadt-Mussbach.Zwei kabarettistische Glanzstunden schenkte René Sydow, angekündigt als „der Poet unter den Kabarettisten“, in der Reihe „Kabarettissimo“ am Samstagabend einem bis auf den letzten Platz besetzten Saal im Mußbacher Herrenhof.

René Sydow schenkt gleich voll ein. Er referiert kurz, was in der Zeitung steht, um dann anzufügen, was die Zeitung über diesen Tag nicht sagt: dass erneut drei Tierarten ausgestorben, soundsoviele 100 Hektar Regenwald abgeholt, soundsoviele tausend Menschen verhungert seien. Das kümmere die Zuhörer nur deshalb recht wenig, weil sie alle überzeugt seien, dass sie es direkt nie betreffen könne. Sydow sagt damit gleich am Anfang, was sein Projekt ist: die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit mit elegant tändelndem Sprachwitz zu durcheilen. Obwohl nicht alles gleichermaßen gelingt, hat er am Ende sein Publikum im Herrenhof überzeugt: Der ausverkaufte Saal applaudiert anhaltend und herzlich.Vor allem in der ersten Programmhälfte ist es des Guten fast zu viel, was der geistig zweifellos äußerst wendige Wortkünstler auf den Hörer niederprasseln lässt: Die Wortspiele folgen aufeinander in rasanter Folge, und genauso schnell springt Sydow von Thema zu Thema. Die Spannbreite ist enorm: Von Clausewitzens preußischem Militärklassiker „Vom Kriege“ bis zur neusten Erscheinung des Privatfernsehens hat Sydow alles parat. Allerdings verpufft auch manche Pointe einigermaßen, weil der Hörer innerlich noch gar nicht richtig beim jeweiligen Thema angekommen ist. Nach der Pause lässt das etwas nach, Sydow baut die Thematiken in längeren Zusammenhängen auf, mit dem Resultat, dass einige seiner verknappten Weltbetrachtungen richtig tief treffen.

Kostproben gefällig? Angela Merkel sei die „Reichsverweserin von Helmut Kohl“ findet Sydow beispielsweise. Oder: „Als ich klein war, haben die Leute alles vertragen. Wer heute was auf sich hält, hat Allergien oder ist Veganer.“ Dann ist er bei der enorm großen Jugendarbeitslosigkeit, die in Spanien sogar 50 Prozent betrage. „Dort verdient der Messi 20 Millionen Euro im Jahr und hinterzieht der Steuer vier. Wenn das unsere Helden sind – wie sehen dann erst unsere Schurken aus?“

Grundsätzliche Erklärungen machen klar, dass René Sydow mit solchen Darlegungen ernsthafte aufklärerische Absichten verfolgt – einmal erinnert er sogar an Karl Kraus und seine „Fackel“, aber wem sagt das noch was? – aber er hat keinerlei Bedenken, sofort irgendwelche Kalauer draufzusetzen. Da lässt er Joseph Schmidt „Ein Glied geht um die Welt“ singen oder einen Patienten klagen: „Herr Doktor, ich bekomme meine Vorhaut nicht zurück!“ und zur Antwort bekommen: „Sowas verleiht man ja auch nicht!“, um bald darauf darauf hinzuweisen, dass keine Waffenfirma, die Landminen produziert, für die Gegenseite nicht auch Minenräumfahrzeuge im Portfolio zu führen.

Er regt sich auf über Radiomoderatorinnen, „die schon um 5.30 Uhr so fröhlich sind, als hätte man ihnen eine Fassenachtströte hintenreingeschoben“, geißelt, dass das Handy für viele längst zum Körperteil geworden sei. Die Schönheitschirurgie kriegt ihr Fett ab – und dann ist da auch noch die Frage: Wohin geht Pinocchio, wenn er krank ist? Antwort: Zum Holz-, Nasen- und Ohrenarzt.

Na ja. An Jan Böhmermann kann ein Kabarettist in diesen Tagen schlecht vorbei. René Sydow nimmt nicht direkt zu den aktuellen Vorgängen Stellung, auch wenn er es sonst an deutlichen Worten über den „türkischen Pascha“ nicht fehlen lässt. Aber er legt sehr ernst dar, dass Satire, um ihren kritischen Auftrag wahrnehmen zu können, entlarven und damit verletzen müsse. Wenn man anfange, besonders empfindliche Gruppen davon auszunehmen, bliebe bald niemand mehr übrig, an denen die Satire ihre kritischen Zähne erproben könne.

Mit dem Publikum in Mußbach ist Sydow übrigens sehr zufrieden: Es sei sehr offen und bereit, mit ihm auch angesichts von Ernstem und Schrecklichem zu lachen, sagt er uns in der Pause. Im Fränkischen oder Westfälischen habe er es da viel schwerer .

Von Roland Happersberger