Ingo Börchers – diesen Namen sollten sich Freunde hochkarätigen Kabaretts merken. Denn, was der 32-Jährige bei seinem Auftritt dem Publikum serviert, ist erste Sahne. Am Samstag war der Bielefelder mit seinem Programm „Das Blaue vom Himmel“ zu Gast im nicht ganz ausverkauften Mußbacher Herrenhof. Dort entzündete er ein verbales Feuerwerk, das keine Wünsche offen ließ.
Ingo Börchers, Typ „netter Junge von nebenan“, ist kein Pausenclown der leichten Muse. Knallhart spießt er scheinbar Gottgegebenes – aber oft Menschengemachtes – auf, zerlegt es in kleinste Bestandteile, um es neu zusammengesetzt in einem ganz anderen Licht zu präsentieren. Seine Sichtweise der Welt erklärt er vornehmlich mit Hilfe der Naturwissenschaften: Berechenbare praktische Fakten überzeugen.
Ab einem bestimmten, nicht genau definierbaren Punkt aber gleiten Mathematik und Physik in die Philosophie über: „Ist Wirklichkeit Realität? Ist am Ende nicht alles nur gedacht?“ Fragen über Fragen, wilde Spekulationen und tiefsinnige Hypothesen statt vorgefertigter Antworten.
Geboren „im Epizentrum des Frohsinns“ sind karnevalistische Kracher nicht sein Metier. Börchers bedient sich der subtilen Pointen, die den Zuhörer zum Mitdenken zwingen. Wer kurz abschaltet, sich lange müht, die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die auf ihn einsprudeln, nachzuvollziehen, bleibt auf der Strecke: Der Kurzschluss ist programmiert, der Stromkreis unterbrochen.
Mit dem Seziermesser zerlegt der Kabarettist von der Gesellschaft akzeptierte Allgemeinplätze und deckt ihre Widersprüchlichkeit auf: „Was ist das für ein Land, in dem Gesetze verabschiedet werden, in dem weltweit gesehen zwei Prozent aller Steuerzahler wohnen, aber 70 Prozent aller Steuergesetze existieren?“ In ganz Deutschland gibt es Reformhäuser, aber so wenig Reformen. Und wenn es Reformhäuser gibt, warum keine Revolutionsläden?
Aufs Korn nimmt Börchers ebenso den kollektiven Konsens, nach dem alle Lämmer süß sind, „für mich sind sie lecker“, oder alle die Weißtanne als Baum des Jahres hinnehmen – „was hat die besser gemacht als die Fichte?“ Geradezu anarchisch beschreibt er die Gefahren, die von der „Granufink-Taliban“ ausgehen, den Rentnern, die ihre Rechte einfordern.
Mittels der Heisenbergschen Unschärfe-Relation oder der Einsteinschen Relativitätstheorie erklärt der Bielefelder Phänomene in der Politik, in den sozialen Beziehungen und im ganz menschlichen Bereich: „Um 7 Uhr morgens muss die Gravitation höher sein als um halb zwölf.“ Anschaulich verdeutlicht er das Gesetz der selektiven Schwerkraft, das besagt, dass das gebutterte Toastbrot fast immer auf die beschmierte Seite fällt. Kühn jedoch ist sein Schluss, die Wahrscheinlichkeit dieses Phänomens steige proportional zum Preis des Teppichs. Nicht unbekannt ist, dass das Gesetz der Trägheit vornehmlich in der Politik vorkommt.
Der fast taufrischen Erkenntnis, dass Frauen und Männer nicht miteinander können, kann sich auch Börchers nicht verschließen; allerdings erklärt er dies ebenfalls wissenschaftlich fundiert. Die klaren einfachen Strukturen des männlichen Gehirns – vergleichbar einer sechsspurigen Autobahn, die immer geradeaus führt – steht in diametralem Gegensatz zu denen des komplexen weiblichen – vergleichbar dem Innenstadtverkehr mit Ampeln, Sackgassen, Einbahnstraßen und Kreisverkehr. Darauf basiert wohl auch die unterschiedliche Denk-, Sicht- und Handlungsweise, die er detailgetreu und anhand verschiedener Beispiele aufzeigt. Laute Lacher und zustimmendes Kopfnicken im Publikum bestätigen seine Theorien respektive Live-Erfahrungen.
Für einen kurzen Augenblick gönnt der Träger des Deutschen Kabarettpreises 2004 den Zuhörern eine Verschnaufpause. Ein Gag, ein Kalauer, und schon galoppiert er weiter durch Raum und Zeit. Mit der Frage „ist die Erde mit ihren Bewohnern nur ein kosmischer Unfall, Tand am Christbaum der Evolution?“, entlässt er seine Zuhörer, die eine Menge Stoff zum Weiterdiskutieren mitnehmen. (giw)