Der Volksaufklärer

Ein Mann und ein Stuhl, der aber kaum benutzt wird – mehr braucht es bei Philipp Weber nicht für einen grandiosen Kabarett-Abend, der Kalauer mit tiefsten philosophischen Einsichten verbindet und Gags in einer Frequenz heraushaut, die unwillkürlich an ein Maschinengewehr erinnert: Wortkunst im reinsten Sinne also.

Von Holger Pöschl

 
Zu erleben war das verbale Trommelfeuer am Samstag in der „Kabarettissimo“-Reihe im Mußbacher Herrenhof. „KI: Künstliche Idioten“ heißt das Programm, das der fernsehbekannte Kleinkünstler aus Tübingen mitgebracht hat. Thema ist der menschliche Fortschritt, den sich ja auch die Berliner Ampel-Koalitionäre so ostentativ auf die Fahne geschrieben haben. Aber wie steht es wirklich damit? Ist die Menschheit durch die vielen digitalen Helferlein, Smartphones, Smart-Homes und Algorithmen, die einem jede Entscheidung abnehmen, wirklich glücklicher geworden? Webers Antwort lautet wohl irgendwie: ja und nein.

Weber ist zwei Stunden lang in BewegungDer 45-Jährige schreitet dabei ein unglaublich weites Feld ab, wobei „Schreiten“ ganz wörtlich zu nehmen ist. Zwei Stunden lang tigert der Mann mit dem inzwischen schon etwas ergrauten Pferdeschwanz wild gestikulierend wie ein Irrwisch über die Bühne, ständig von rechts nach links und wieder zurück, spricht das Publikum immer wieder ganz direkt an, wobei er sich jedes Mal soweit vorlehnt, dass man fast Angst hat, er könne vom Podium fallen, und sorgt mit seiner informationellen Überwältigungsstrategie für eine ganz ähnliche Erfahrung, wie sie sich bei einer Google-Suche einstellt. Von modernen Allgegenwart des Handys über Ethik-Algorithmen fürs autonome Fahren bis zur transhumanistischen Utopie einer Selbstoptimierung durch Fortschritt spannt sich der Bogen, wobei der globale Ansatz aber auch immer wieder „geerdet“ wird durch Seitenhiebe auf den bayerischen Odenwald, Webers Herkunftsregion – da wo der SUV noch Traktor heißt und Frauen zum Gebären in den Wald gehen, um dann nicht nur mit einem Kind, sondern auch noch mit zwei Klaftern Holz zurückzukommen.

Der Bildungsauftrag des KabarettsPolitisch im verengten Sinne, mit dem Holzhammer gleichsam, ist das nicht. Zwar bekommt die AfD immer wieder ihr Fett ab, werden Impfgegner schon einmal als „die Taliban des Gesundheitssystems“ charakterisiert. Aber Weber sieht sich eher als Volksaufklärer, der mit dem Mittel des Humors warnen möchte vor Fehlentwicklungen. „Ich nehme den Bildungsauftrag des Kabaretts noch ernst“, erklärt er deshalb von der Bühne herunter – und kündigt auch gleich für den zweiten Teil des Abends eine Abfrage an, um zu testen, ob auch wirklich noch alles „sitzt“. Ein Thema der Klassenarbeit, die dann doch nicht kommt, könnten zum Beispiel die sechs Weber’schen Gesetze des menschlichen Fortschritts sein: „Fortschritt ist weder gut noch schlecht“, lautet das erste, „Nur weil Fortschritt passiert, heißt das nicht, dass auch alle mitmachen“, das vierte. 

Vieles von dem, was der erkennbar poetry-slam-gestählte Wortkünstler herniederprasseln lässt, spricht dem Publikum aus der Seele, wie die hohe Lachquote ganz unzweideutig belegt. Es sind ja aber auch oft unglaublich genaue Alltagsbeobachtungen, die Weber hier präsentiert: ob es um neue Boliden vom Typus „Mercedes FKK mit ADHS-System“ geht, in denen Aromatherapie-Diffusoren Duftnoten wie „Sport“ oder „Nightlife“ verströmen, wobei letztere allerdings Probleme bei Polizeikontrollen verursachen kann, oder um den „digitalen Darwinismus“ bei der Online-Anmeldung im Impfzentrum, der technikunerfahrene Senioren von vornherein aussiebt. Und wer würde nicht sofort unterschreiben, dass wir momentan eine „Renaissance des Irrationalen“ erleben? Es ist dabei der besondere Blick auf die Absurditäten unserer technisierten Welt, der die große Qualität des Programms ausmacht. Denn wer kennt nicht Menschen wie Webers Berliner Freund Konrad, der auf dem Weg zur halbvirtuellen Existenz ist, weil er ohne Internet-Verbindung nicht einmal mehr sagen kann, wie es sich mit dem Wetter vor seiner Haustür verhält, und der das Tinder-Date mit einer Baumelfe aus Mittelerde einer Begegnung mit seiner realen Freundin Bea vorzieht.

Der Theaterbesuch als politisches StatementIn diesem Sinne zitiert Weber am Ende dann sogar noch den Religionsphilosophen Martin Buber: „Echtes Leben findet in der Begegnung statt“, und dankt dem Publikum im ausverkauften Saal in verschärfter Form fürs Kommen: „Heute ins Theater zu gehen, ist ein politisches Statement!“ Bereits zuvor hat er anhand zahlreicher ziemlich lustiger Beispiele ausgeführt, dass die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt zumindest seinen eigenen Job nicht gefährden wird: Alexa nämlich kann keine Witze. Für die deutschen Frauen freilich könnte es eng werden – zumindest auf dem inländischen „Markt“. Schließlich zögen schon jetzt laut einer Umfrage ein Drittel der deutschen Männer einen Sexroboter vor, wenn sie denn die Wahl hätten.

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 19
DatumMontag, den 24. Januar 2022
Seite15