Songs, die im Gedächtnis bleiben

Kultur Regional

Es waren „seine“ Lieblingslieder, die Ilja Richter am Samstag im Mußbacher Herrenhof vorstellte, und er betonte das mehrfach. Dass er damit dennoch aber auch den Geschmack von vielen seiner Zuhörer traf, war sicher nicht ganz ungewollt. 

Von Hans Kraus
 

Neustadt-Mussbach. Die Bühnenausstattung im Festsaal des Herrenhofes war am Samstag spärlich. Ein Flügel, an dem später Ilja Richters musikalischer Begleiter Harry Ermen Platz nahm, ein Sessel und ein altes Röhrenradio mit eingebautem Plattenspieler genügten, um eine Art Wohnzimmeratmosphäre zu schaffen, in der der Berliner Entertainer in Erinnerungen schwelgen konnte. Ein bisschen nostalgisch wirkte das Ganze, sollte es aber nicht. Ilja Richter sieht sich selbst nämlich überhaupt nicht als Nostalgiker, auch wenn er natürlich zugeben muss, dass sich Lieblingslieder bei fast allen Menschen eben fast nur in der Vergangenheit finden lassen. 

Dem 69-Jährigen geht es darum, sich zurückzuerinnern an Songs, die sich tief in sein Gedächtnis eingegraben haben. Erstaunlicherweise sind das aber nicht die Hits, die er während seiner Zeit als Gastgeber der „Disco“ regelmäßig vorgestellt hat. Die haben zu wenig Tiefgang für den hochintelligenten, belesenen und kunstinteressierten Richter. 

Trotzdem startete er seine Darbietung mit einem Schlager aus eben dieser Phase seiner Karriere, „Lieder der Nacht“ von Marianne Rosenberg, den er nahtlos in „Maria“ aus Gershwins „West Side Story“ übergehen ließ. Ob dieser Beginn ein versteckter Hinweis darauf sein sollte, dass Ilja Richter eine Weile eine heimliche Liebesbeziehung zu Rosenberg pflegte, blieb offen. 

Das darauf dann allerdings ausgerechnet die „Schöne Maid“ von Tony Marshall folgte, erstaunte doch sehr. Die Erklärung folgte aber auf dem Fuß: Richter liebt die Nummer tatsächlich – allerdings nicht in der Version von seinem Freund Tony, den er als netten Kerl bezeichnet, sondern in der Originalversion – das ist ein Volkslied der Maori mit dem Titel „Nau haka taranga“. 

Und weiter ging’s mit dem Besten aus den Siebzigern – aber nicht aus dem 20., sondern aus dem 18. Jahrhundert, dem zweiten Satz aus Mozarts „Sinfonia Concertante“ aus dem Jahr 1778. Von hier aus schlug Richter über „Die Unvollendete“ von Franz Schubert eine Brücke zu Bob Dylans „Blowin’ In The Wind“ und legte dabei einen offensichtlichen Notenklau offen. Dylan hat sich bei seinem Welterfolg nämlich deutlich von Schuberts zweitem Satz seiner siebten Sinfonie, naja, „inspirieren“ lassen. 

Nach dieser vorher nur wenigen bekannten Feststellung folgten nun Richters Lieblinge unter den Lieblingslieder, darunter „Niemand liebt dich so wie ich“ von Manfred Krug, oder, als ein Höhepunkt der Veranstaltung, „Auf der Straße der Vergessenheit“, eine Nummer von Udo Jürgens aus dem Jahr 1971. Bis hierher hatte Richter alle Stücke gesungen mit eigenen Texten erweitert oder komplett bestückt. 

Bei „Auf der Straße der Vergessenheit“ behielt er die ursprünglich von Jürgens und Eckart Hachfeld geschriebenen Originallyrics bei und bewies mit viel Gestik und Mimik außerdem, dass er auch ein erfahrener Schauspieler ist. Als solcher stand er bereits als 9-Jähriger erstmals vor der Kamera. Sogar tänzerisch, etwa als „Moonwalker“ im Stil von Michael Jackson, hat er einiges zu bieten. All diese Talente konzentrierte er nun auf dieses besondere Lied. 

Er schnappte sich einen Grammophontrichter und setzte diese Requisite, immer passend zum Text, mal als Hut, dann als Lenkrad eines Rennwagens, und wenig später als Fernrohr ein. Mit dieser Darbietung brachte er sein Publikum vollends auf seine Seite. 

Aus dem Liederabend war nun ein musikalischer Erzählabend geworden, der einiges über die Person Ilja Richter preisgab. Es kam heraus, dass er mit 49 Jahren Vater geworden ist, irgendwann die Frau von Kurt Tucholsky kennenlernen durfte, früher für Heidi Brühl und eine deutsch-polnische Schönheit aus dem „Hair“-Ensemble geschwärmt hat, und dass eines seiner größten Idole Georg Kreisler ist. Mit dessen „Mein Weib will mich verlassen“ ging die Zeitreise durch Ilja Richters Leben unter dem rauschenden Beifall seiner Gäste schließlich auch zu Ende. 

Quelle

AusgabeDie Rheinpfalz Mittelhaardter Rundschau – Nr. 265
DatumMontag, den 15. November 2021
Seite17