Von Andrea Dölle
Neustadt-Mussbach. Der Begriff „Wutbürger“ bekam am Samstag beim Auftritt der Kabarettistin Tina Häussermann im Herrenhof eine völlig neue Bedeutung. Mit ihrem Übungsprogramm zum stufenweisem Wutauf- und -abbau bot die Pianistin und Liedermacherin beste Tipps, wie frau mit nervenden Kindern, Ehemännern und anderen Zeitgenossen fertig werden kann. Der ideale Frauenworkshop – allerdings kamen auch die Männer aus dem Lachen kaum heraus.
Sie ist wirklich zierlich – das merkt man aber erst, wenn sie beim CD-Verkauf direkt vor einem steht. Ihre Stimme nämlich ist sehr viel größer als sie selbst – ihre Wutschreie sollten waffenscheinpflichtig sein. Zunächst aber hielt sie eine bunte Spielzeugpistole ins Publikum und rekrutierte eine junge Frau am ersten Tisch als Helferin. Die Pistole schießt Konfetti ab, und die junge Frau soll bei jedem Gag auf den Auslöser drücken. Die Gagdichte, erklärt Tina Häussermann, werde in „Barth“ bemessen, nach Mario Barth. Allerdings gibt’s am Anfang ein paar Fehlzündungen, und die Zuschauerin ist ein paarmal so baff, dass sie das Abdrücken vergisst. Ansonsten erweisen sie sich als gutes Team – einige der Gags entstehen schon dadurch, dass die Pistole leicht zeitverzögert mitten in den nächsten Satz platzt, wo der Effekt nicht unbedingt was zu suchen hat.Dann geht es gleich zur Sache: Immer nur Beherrschung, immer nur Einatmen, Ausatmen, bis man so entspannt ist wie ein nasses Handtuch – wie viel befreiender ist da doch ein Wutanfall. Die vier Stufen der Wut sind zu lernen: erste Stufe – Brille vergessen, Bus vor der Nase weg gefahren – ein kleines „Öh“ genügt schon, die Zuschauer machen es brav nach. Zweite Stufe ist die, die besonders bei fruchtlosen Diskussionen im Familienkreis hochkommt – schon reichlich mehr Stimmstärke. Die Zuschauer gehen mit Begeisterung mit. Dritte Stufe ist die richtig große Wut mit Selbstentwertung „Wie kann ich nur so blöd sein“ oder das Ganze mit Fremdent-wertung : Wutschrei mit „Du blöder Arsch“ – das können die Zuhörer sehr gut, und Tina Häussermann stellt auch gleich ein ganzes Orchester zusammen mit den Wutäußerungen – so befreiend wie eine Joggingrunde. Für die tragen die meisten Funktionskleidung – ein Alptraum, und ein Traum für die eigenen Bakterien, die feiern nämlich Party, ungestört durch die milden Waschvorgänge, die keiner Bakterie den Garaus machen. Ein anderer Schrecken des Alltags ist die Einparkhilfe im Auto, das piepsende Geräusch, das anzeigt, dass man gleich an der Wand landet – wenn man dem Ding nur glauben würde. Wäre so etwas nicht auch gut für zwischenmenschliche Beziehungen? Nur dass man ihm dann auch nicht glauben würde.
Nach der Pause, mit Judo-Jacke, schwarzem Gürtel und Ukulele, singt Häussermann von Renate, die zwar nicht so aussieht, aber heimlich mit Handkantenschlägen den Grill der Nachbarn zerlegt, während sie tagsüber milde lächelt. Auch über eine Anpassung von Grimms Märchen ans moderne Leben hat die Kabarettistin aus Stuttgart nachgedacht: Hänsel und Gretel verirren sich im Wald? Das moderne Kind hat Navi. Rotkäppchens Wolf? Die Oma ist längst im Seniorenheim, und der Wolf ist Veganer geworden – er kocht sich Rote-Bete-Sticks. Schneewittchen dagegen ist allergisch gegen Äpfel und lehnt den angebotenen daher strikt ab. Und Hans im Glück ist glücklich: kein Gold, keine Kuh, kein Pferd, aber der beliebteste Kandidat bei „Bauer sucht Frau“ , was braucht er mehr?
Weit von Grimms Märchen entfernt ist die neue Mode der „Wand-Tattoos“. Alle scheinen jetzt welche zu haben, die in großen Buchstaben Banales verkünden – und nicht nur an der Wand. Der Einkaufsbeutel etwa verkündet: „Ich bin voll“. Dann doch lieber sich Titel für Lieblingspornos ausdenken, etwa „Das Wunder von Bernd“. Und seinen Mann kann man, wenn er nervt, ja per DHL verschicken. Da gibt es doch diese wunderbare Sache, dass man den Weg des Pakets per Internet verfolgen kann, so weiß man immer, wo er steckt – und für den Fall, dass es etwas länger dauert, bekommt er ein Lunchpaket mit. Da ist der Applaus besonders groß.