Ein Mann sieht rot

Rheinpfalz, Kultur Regional

Chawwerusch-Theater spielt „Michael Kohlhaas“ im Mußbacher Herrenhof

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Neustadt-Mussbach. In Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ geht es um Recht, Gerechtigkeit und Willkür, um Selbstjustiz, Terrorismus, den Staat und seine Aufgaben – und das alles auf rund 140 Seiten in dieser schwierigen Sprache, die so weit von unserer Gegenwartssprache entfernt ist – das Chawwerusch-Theater hätte sich also eine einfachere Aufgabe stellen können, als diese Klassiker-Ikone als Schauspiel auf die Bühne zu bringen. Am Samstag wurde das Ergebnis im Herrenhof Mußbach aufgeführt, vor gut besetztem Saal.

Es ist ein Zwei-Personenstück geworden, zwei Schauspieler sind gleichzeitig Erzähler und schlüpfen in die Rollen und wieder heraus. Ben Hergl spielt so den Kohlhaas oder erzählt von ihm, Christoff Raphaël Mortagne spielt alle seine Gegner, zeigt sich aber auch als Ehefrau Lisbeth Kohlhaas und präsentiert gegen Ende sogar den Doktor Martin Luther.An die Sprache Heinrich von Kleists rührt die Inszenierung nicht, die bleibt so komprimiert, sperrig, altertümlich und unbequem wie im Original, Respekt dafür. Über weite Teile des Stücks rezitieren die beiden Schauspieler den Novellentext abwechselnd, so wenig gekürzt wie möglich. Michael Kohlhaas ist ein Pferdehändler aus dem Brandenburgischen, so hochanständig, rechtschaffen, gutbürgerlich-wohlhabend, wie man ihn sich nur vorstellen kann, jedem Regierenden müsste er als Untertan die reine Freude sein. Er ist verheiratet und Vater einer Reihe wohlerzogener Kinder. Dieses Musterbild an Rechtschaffenheit reitet eines Tages mit seinem Knecht und einer Herde bester junger Pferde gen Sachsen, als er einen Schlagbaum samt Zöllner auf dem Weg vorfindet, wo vorher keiner war, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Christoff Raphaël Mortagne zieht seine erste Rolle an, die des großkotzig-arroganten Zöllners, gefolgt gleich darauf vom noch arroganteren Burgvogt und endlich vom gräflichen Burgherrn Wenzel von Tronka, weit entfernt von jedem Verantwortungsbewusstsein.Kleist lässt seinen Kohlhaas jede denkbare Willkür erleben, doch immer noch versucht der und mit ihm sein Darsteller Ben Hergl, einen Sinn, ein Missverständnis in all den widersinnigen Anordnungen der Herren zu finden. Er reist hin und her, beugt sich, erträgt, dass seine zum Pfand gelassenen Pferde zuschanden werden, sein Knecht der Aufsässigkeit beschuldigt, übel verprügelt und davongejagt wird – längst hätte der Zuschauer an seiner Stelle die Geduld verloren. Kohlhaas gehört zu den Leuten, die lange schlucken, bis dann etwas das Fass zum Überlaufen bringt – das ist in seinem Fall der Tod seiner Frau, die versucht hatte, seine Bittschrift zu überbringen. Dann allerdings rastet er aus, seine Rache ist ebenso fürchterlich wie vorher seine Geduld unerschöpflich war, er wird zum Terroristen mit Privatarmee.

Nun tritt der „Fall Kohlhaas“ in eine neue Dimension, er wird zum Objekt der Mächtigen, die ihre eigenen territorialen Ziele verfolgen. Am Ende kommt noch in Gestalt Luther der kirchliche Standpunkt hinzu, Kohlhaas solle doch Gnade walten lassen statt Recht zu suchen – Luther zeigt, dass er sich ein bisschen zu sehr an die Obrigkeit anlehnt. Am Ende stirbt Kohlhaas willig, rechtmäßig zum Tode verurteilt wegen Landfriedensbruchs, nachdem er sein ursprüngliches Recht bekommen hat: Die zum Pfand überlassenen Pferde werden ihm aufgepäppelt wieder übereignet. Eine kleine Rache hat er noch vorher: Den Wahrsagebrief einer Zigeunerin, den sein Kurfürst so unbedingt haben will, verschlingt er. Damit geht die Geschichte ins Märchenhafte.

Die beiden Schauspieler bringen das Kunststück fertig, dass man ihnen glaubt, trotz der sorgfältig eingebauten Vorbehalte, trotz der distanzierenden Sprache. Ein paar aufheiternde Momente tun der Aufführung gut: Mortagne als Lisbeth mit schwarzer Langhaarperücke zum Bart erinnert sehr an Conchita Wurst und bringt auch seinen Partner zum Lachen, und als er als verprügelter Knecht Blut spuckt, erklärt er mit einem Schulterzucken: „Theaterblut“.

Am Ende sitzen die beiden Schauspieler mit baumelnden Beinen auf einem Gestell, stecken sich rote Clownsnasen an und erklären: „Schaut man sich die Welt durch ein grünes Glas an, wer kann entscheiden, was objektive Wirklichkeit und was als Eigenes, Subjektives dazu kommt?“ Das ist wohl das Beste am „Kohlhaas“: Die Fragen bleiben für jede Generation, Kleist hat sie nicht aufgelöst. Sie sind, glaubt man dem Chawwerusch-Theater, immer nur subjektiv zu beantworten. Man kann sich immer noch daran stoßen.

Von Andrea Dölle