Neustadt-Mussbach. Er scheint tatsächlich eine multiple Persönlichkeit zu sein. Denn nur so ist es zu erklären, dass Kabarettist Arnulf Rating in Windeseile von einer Figur in eine andere wechseln kann. Am Samstagabend war der Wahl-Berliner wieder einmal zu Gast bei der Kleinkunstreihe „Kabarettissimo“ im Mußbacher Herrenhof. Begeistert applaudierte am Ende das Publikum, das bei der Vorstellung des Künstlers alter Schule wieder viele neue Erkenntnisse gewonnen hatte.
Rating stürmt die Bühne und konfrontiert die Zuschauer mit der Tatsache, dass dieser Abend vom Radio aufgezeichnet werde. Deshalb sei eine Klatschprobe erforderlich. Sie sollten beweisen, dass es in Mußbach noch „lebende Kulturen“ gebe. Natürlich gehorchen alle, klatschen beim „realen“, also zweiten Auftritt, was das Zeug hält. Mit solchen Vorschusslorbeeren bedacht, legt Rating los. Wie später noch mehrfach, streut er zu Beginn Lokalkolorit in seine Ausführungen. Dass die Firma „Sulo“ schließe, müsse doch niemanden beunruhigen. „Wozu brauchen Sie Arbeitsplätze, wo Sie doch Wein haben?“. Dieser an Zynismus triefende Satz ist typisch für Rating. Er kann richtig fies sein – haut auf jeden und alles, was ihm kritikwürdig erscheint.Das sind zuerst und vor allem die Politiker: Erstes Stichwort ist die Bundestagswahl 2013, die „Zeit, in der Politiker an den Bäumen hängen – nicht einmal anständig aufgehängt sind sie“. Das Ergebnis, die „GroKo“, die Große Koalition, findet ebenfalls nicht sein Gefallen. Zur wahren Hochform läuft der Kabarettist auf, als er Kanzlerin Angela Merkel beschreibt. Eine ganze Latte von Männern – ja er tue sich mit dieser Zweideutigkeit etwas schwer – habe sie weggeputzt. Ob da Voodoo-Zauber im Spiel sei?
Verantwortlich für dieses Gebaren macht Rating die „Merkel-Raute, die sie sich bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth angeeignet habe. „Das umhüllte Nichts, der Ring, der ihr gelungen“, fügt er albernd hinzu, lasse andere sofort ins Koma fallen. Obwohl sie den Deutschen das hart erarbeitete „Rheingold“ weggenommen habe, hätten diese den Eindruck, dass es ihnen gut gehe. In einem Alptraum habe er gar gesehen, wie alle Bundesbürger lustig Rettungspakte für die jeweils anderen geschnürt hätten. „Mir wurde dabei so übel, dass ich einen Arzt brauchte“. Und schon schlüpft der Künstler in die Rolle des verqueren Dr. Mabuse.
Der Arzt, der, um seine wirtschaftliche Lage zu retten, im Reagenzglas Schnitzel aus Stammzellen züchten und im 3D-Drucker ausdrucken will, analysiert präzise die Problemzonen der Bundesrepublik: Früher hatte sie eine schlanke Taille, doch durch die Wende ist sie fett und breit geworden und hat beträchtliche Rückenprobleme. Ja, Dr. Mitterrand habe einen Eingriff im Rückgrat vorgenommen, habe Mark für Mark entfernt und durch den Euro ersetzt. Hypnotisiert von Theo Waigel und Helmut Kohl, habe das Volk im Wachkoma gelegen und die fatalen Nebenwirkungen nicht gespürt. Aber die Patienten vertrauten auf Merkel und Gauck, die eine exquisite Ausbildung in der evangelischen Komaklinik DDR genossen hätten.
Dann ist Rating Fred Ferkelmann, ein smarter, rotbebrillter Unternehmensberater. In seinem PR-Deutsch zeigt er, wie aus einer abgehalfterten Arztpraxis Profit zu schlagen ist – nein, nicht für den hoffnungsfrohen Mediziner, nur für ihn. Er spricht von „power“ und „perfection“ und davon, dass „business stets local“ sei. Herrlich persifliert Rating mit diesem Jargon die heiße Luft, mit der Kunden und Verbraucher eingelullt werden.
Ob Auswüchse des Justizsystems, verfehlte Fiskalpolitik und ausschließlich auf Gewinnmaximierung orientierte Konzerne – im rasanten Tempo setzt Rating seine treffenden Pointen. Noch stundenlang möchte man ihm zuhören, nicht nur, wenn er – sein Markenzeichen –die Schlagzeilen der Zeitungen deutet.
Von Regina Wilhelm